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Wo die Stadt Atem schöpft. Die Weidendammer Brücke verlängert die Friedrichstraße in die Spandauer Vorstadt .Die heutige Brücke mit vier Kandelabern und neobarock verzierten schmiedeeisernen Geländern entstand von 1894 bis 1896. Sie steht unter Denkmalschutz

© Kitty Kleist-Heinrich

Berliner Brücken (1): Die Weidendammer Brücke: ein Konstrukt aus Liebe, Luft und Eisenguss

Berühmt sind die Adler, die ihre Geländer zieren. Zum Start unserer Sommerserie über Berliner Brücken lesen Sie hier Geschichte und Geschichten von der Weidendammer Brücke in Mitte.

Die goldenen Sonnenbälle hoch oben an den Kandelabern glitzern im Abendlicht. Eine Dame richtet ihr Haar und eilt Richtung Berliner Ensemble, ein Betonmischer rumpelt über die Fahrbahn und lässt den Asphalt erzittern. Auf dem Bürgersteig stehen Umleitungsschilder und provisorische Ampeln wegen der U-Bahnbaustelle Spalier, dazu Werbetafeln für Schiffsanleger und die Kneipenmeile rund ums BE. „18 Biersorten vom Fass!“ Die Theater im Viertel versuchen es mit einer Laufschrift neben dem irischen Pub.

Sanft wölbt sich die Brücke über der Spree nördlich des Bahnhofs Friedrichstraße. Passanten verlangsamen den Schritt, Radfahrer treten kräftig in die Pedale, auf dem gluckernden Fluss dümpeln Touristenschiffe. Unter der Brücke ducken sie sich, zwischen den granitverkleideten Pfeilern hat schließlich schon mancher Kapitän das Augenmaß verloren – und sein Steuerhaus dazu. Auch die Moby Dick ging bei einer Spezialfahrt nach Mitte hier einmal auf Kollisionskurs.

Rund um die Weidendammer Brücke: eine Amüsiermeile, damals wie heute

Die Weidendammer Brücke zwischen Reichstagsufer, dem einst mit Weiden bewachsenen gleichnamigen Damm im Süden und dem Schiffbauerdamm im Norden hat viel auf dem Buckel. Unter den geschätzten 2100 Berliner Brücken befindet sie sich mit 971 anderen in städtischer Obhut und gehört zu den historisch bedeutendsten Spreequerungen. Ihre Ursprünge als hölzerne Zugbrücke gehen bis ins 17. Jahrhundert zurück. 1826 wurde sie durch eine der ersten gusseisernen Brücken Mitteleuropas ersetzt, eine Pioniertat der Ingenieure, denn in der Mitte besaß sie Zugklappen für größere Schiffe, weshalb sie frei schwebend konstruiert werden musste. Als Verkehrsanbindung der Dorotheenstadt zur Spandauer Vorstadt wie als Flaniermeile zwischen Musen- und Amüsiertempeln war sie viel frequentiert. Auch die Komische Oper stand einmal hier, gleich neben dem Admiralspalast – dort wo sich heute das Hotel Meliá befindet. So reichte die Brücke auch mit angebauten Fußgängerwegen und Tram-Behelfsbrücke nicht mehr aus, eine neue musste her. 1896 war sie fertig, 73 Meter lang, 22,5 Meter breit, nach Entwürfen von Otto Stahn, mit verzierten Kandelabern, verspielten Schmiedearbeiten und Doppelgleisen für die Straßenbahn.

Brücken sind Abkürzungen, Beziehungsstifter, Grenzüberwinder, sie verbinden – und machen Angst. Wer sie betritt, verlässt sicheren Boden, Heinrich Heine machte in der qua Brücke verlängerten Friedrichstraße gar die „Idee der Unendlichkeit“ aus. Die Häuser weichen zurück, Möwen flattern hoch, Brückengeschichten sind Liebesgeschichten, Freiheitsgeschichten, Berliner-Luft-Geschichten. Von der Weidendammer Brücke schweift der Blick zum Fernsehturm hinter der Museumsinsel im Osten und zum Regierungsviertel im Westen bis hinüber zum Potsdamer Platz. Der Himmel wird weit, die Stadt schöpft Atem, lässt sich den Wind um die Nase wehen, träumt vom Meer und vom Fliegen.

Ach, die berühmten eisernen Adler in der Mitte der Balustraden! Sie breiten ihre Schwingen aus, als wollten sie die ganze Welt umarmen. Aber die Fabelfische samt neobarocker Flora und Fauna in den Ziergittern mögen sich noch so eifrig vor ihnen verneigen – sie sorgen immer wieder für Streit.

Wolf Biermann taufte den Reichsadler an den Geländern "preußischer Ikarus"

Weidendammer Brücke. Auf dem Fahrdamm mit doppelter Gleisspur für die Tram
Verkehrsreich. Die Weidendammer Brücke war die erste, die um die Jahrhundertwende die ganze Nacht über elektrisch beleuchtet war.

© Doris Spiekermann-Klaas

Zum einen wegen der Schlösser. An den filigranen Stellen des Federviehs und unter den Kronen ducken sich Liebesschlösser. Ständig muss das Ordnungsamt die kleinen Vorhangschlösser wieder abzwacken, vor dem Valentinstag im Februar waren es bald 600. Dieser Tage sind es bloß 50, aber es werden wieder mehr. Das Ritual mit den Faustpfanden der Treue ist bei Liebespaaren in aller Welt nun mal beliebt. Ein Kuss, eine Umdrehung und ab mit dem Schlüssel in den Fluss, auf dass man sich nie wieder trennen möge.

Zum anderen wegen der Heraldik. Die Reichsadler tragen das preußische Staatswappen auf dem Bauch, sie selber die Reichskrone, bekrönt sind auch die Miniadler auf den Wappenkartuschen. Reichsadler, Preußenadler, Hohenzollern, Brandenburg, ganz schön verwirrend. Wolf Biermann sang in seiner Ballade anno 1976 vom „preußischen Ikarus“, Jahre bevor die DDR den Raubvögeln aus Gründen historischer Korrektheit ihre Kronen zurückgab. Das war 1986, der Kopfputz soll den Adlern in der Novemberrevolution abhanden gekommen sein, oder – andere Version – er war ihnen gar nicht erst aufgesetzt worden.

Auch Erich Kästner ließ sich von der Weidendammer Brücke inspirieren

Die Ballade ist die letzte, die Biermann noch in der nahe gelegenen Chausseestraße komponierte, damals zu Mauer- und Stacheldrahtzeiten. Auf dem Cover des Liedtextebuchs posiert er vor dem Vogel, „da wo die Friedrichstraße sacht/den Schritt über das Wasser macht“, als Ikarus, „mit grauen Flügeln aus Eisenguss/dem tun seine Arme so weh“. Er stürzt nicht ab und macht nicht schlapp, „am Geländer über der Spree“ – bis die DDR ihren prominentesten Dissidenten doch über den Rand kippte, in den Westen hinüber.

In seiner Ballade taufte Wolf Biermann den Reichsadler "preußischer Ikarus", das war 1976, kurz danach bürgerte die DDR ihn aus.
In seiner Ballade taufte Wolf Biermann den Reichsadler "preußischer Ikarus", das war 1976, kurz danach bürgerte die DDR ihn aus.

© Kitty Kleist-Heinreich

Als Biermann das Lied 13 Jahre später wieder singt, da stimmt das Bild vom Ikarus nicht mehr. Man kann nicht schön sterben und dann munter weiterleben, sagt er bei seinem ersten Auftritt nach dem Fall der Mauer im Osten. Lacht und weint und das Publikum auch.

An diesem Abend im Juni sitzen zwei bettelnde Punks mit Pappbecher auf dem östlichen Bürgersteig. Ein junger Wuschelkopf geht vorbei, ohne eine Münze in den Becher zu werfen. Die Punks schimpfen, der Wuschelkopf ist schon fast am Riverside-Hotel, dann dreht er sich um. „Mir geht es gut“, ruft er ihnen zu, „euch geht es schlecht. Also macht ihr doch Revolution, und ich bin dabei.“ Ob die Brücke ihn politisiert hat? Der Lyriker Arno Holz dürfte den Bettler jedenfalls kaum erfunden haben, der in seinem Gedicht „Großstadtmorgen“ von 1886 auf der Weidendammer Brücke Wachsstreichhölzer feilbietet. Auch Erich Kästner ließ sich Ende der 1920er Jahre von der Wirklichkeit inspirieren. „Kind aus gutem Haus nachts mit Bettlerin auf der Weidendammer Brücke entdeckt“, stand in der Zeitung. Prompt ließ Kästner Pünktchen, das Mädchen aus reichem Hause, auf der einen Seite der Brücke Streichhölzer verkaufen, während Anton es vis-à-vis mit Schnürsenkeln versucht.

Eine Brücke mit sozialem Gewissen – und mit romantischem Flair. Am 8. Dezember 1845 ging Theodor Fontane mit seiner Angebeteten spazieren und hielt auf der Weidendammer Brücke um ihre Hand an. Wie es sich für einen großen Dichter gehört, hat er die Szene en detail aufgeschrieben. Fast 50 Jahre war er mit Emilie Rouanet-Kammer verheiratet, eine eherne Ehe, versprochen auf einer gusseisernen Brücke. Kein Wunder, dass sich die Adler vor Liebesschlüsseln kaum retten können.

Die Brücke hat es buchstäblich in sich. In den Sonnenkugeln stecken seit der Restaurierung 1986 ein DDR-Fünfmarkstück, eine Zeitung und die Namensliste der Kunstschmiede. Als echte Pionierin war sie zum Fin de Siècle als erste Berliner Brücke die ganze Nacht elektrisch beleuchtet. Und im Lauf der Geschichte hat sie immer wieder ihre Gestalt gewechselt. Mobil und unverrückbar, flexibel und nachhaltig, das macht ihr so schnell keiner nach. Denn auch Fontanes Verlobungsbrücke, die Vorgängerin der heutigen Brücke, wurde nie zum alten Eisen geworfen. Man kann sie noch heute besuchen, eine knappe Autostunde von Berlin entfernt. Die Gemeinde Liepe bei Oderberg kaufte sie damals, später gelangte sie nach Finow, im heutigen Eberswalde. Auf dem Wasserweg, so wie sie schon damals aus England nach Berlin gekommen war. Schöne Vorstellung, eine Brücke, die gern Schiff fährt. Teufelsbrücke heißt sie heute, eine Treidelpfadbrücke, auf der Spaziergänger den Finowkanal überqueren. Und unter Denkmalschutz steht sie auch, Fontanes großer Liebe sei Dank.

Ihre Nachfolgerin an der Spree feiert die Liebe auf ihre Weise. Partymusik weht an diesem schwülen Sommerabend herüber, vom Bodemuseum nähert sich ein Boot voller tanzender Passagiere. Vor dem Christopher Street Day bringt sich die queere Community in Stimmung, wedelt fröhlich mit grünen Puscheln und grüßt per Megafon die Heteros vom anderen Ufer. Die Reichsadler strecken frech ihre Zungen heraus.

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