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Die Stadt als Kulisse. Vom „Fußballhimmel“ schweift der Blick des Besuchers über die Warschauer Brücke bis zum Wasserturm am Ostkreuz.

© Metro Cash & Carry Deutschland

Berliner Dächer (7): Ganz nah am Fußballgott

Der schönste Fußballplatz Berlins: In zwölf Metern Höhe auf einem Großmarkt finden die Spieler von Blau-Weiß Friedrichshain ihr Trainingsglück.

Sechzig Stufen sind es hinauf in den Fußballhimmel. An der Pforte erwarten den Besucher zwar keine toten Legenden wie Johan Cruyff oder Fritz Walter, dafür aber die Spieler des SG Blau-Weiß Friedrichshain. Quicklebendig und hochmotiviert. Nach dem ersten Spieltag ist die Mannschaft dank eines überzeugenden 7:1 gegen Spandau 06 II Tabellenführer.

Das Team spielt in der Kreisliga B, Staffel 3, ihr Fußballplatz aber hat Champions-League-Niveau. Tatsächlich könnten hier Partien der Königsklasse ausgetragen werden. Der Kunstrasen, auf dem die Blau-Weißen trainieren, entspricht den höchsten Anforderungen der FIFA und ist für offizielle Wettbewerbe zugelassen. Es gibt Flutlichtmasten, ein Klubhaus mit Umkleidekabinen, einen Gastronomiebereich und Schiedsrichterräume. Sogar zwei mobile Tribünenelemente mit jeweils 300 Sitzplätzen wurden installiert.

Doch bis die SG Blau-Weiß Friedrichshain im internationalen Wettbewerb angekommen ist, begnügen sich die Mitglieder damit, dass sie den schönsten Fußballplatz Berlins bespielen dürfen. In zwölf Metern Höhe, auf dem Dach eines Großmarkts im Friedrichshain, erstreckt sich ihre Spielstätte über 8700 Quadratmeter Kunstrasen. Weit schweift der Blick über die Warschauer Brücke bis hinüber zum Wasserturm am Ostkreuz. Ausgezeichnet lässt sich von hier oben die emsige Bautätigkeit zwischen Ostbahnhof und Warschauer Straße überblicken. 15 Kräne ragen wie gewaltige metallene Dinosaurier mit Neonlichtaugen aus den Häuserschluchten hervor. Auf der anderen Seite des Platzes rekeln sich die Nutzer einer Dachterrasse in der Helsingforser Straße in den letzten Sonnenstrahlen des Tages. Unten stürzen sich die letzten Großhändler kurz vor Feierabend noch in die bunte Warenwelt. Unwissend, dass über ihren Köpfen der Ball rollt.

Anwohner entwickelten die Idee für die Anlage

Der „Metro-Fußballhimmel“ entstand 2006. Damals sollte eine Filiale des Großhandelskonzerns auf dem Gelände des ehemaligen Wriezener Güterbahnhofs gebaut werden. Anwohner entwickelten in einem Bürgerforum die Idee für die außergewöhnliche Anlage. Da es in der Gegend wenige Sport- und Grünflächen gibt, konnte man auch das Bezirksamt dafür begeistern. Der Fußballplatz wurde von den Behörden zu einer Bedingung für die Baugenehmigung gemacht. Für das Projekt musste die Dachkonstruktion des Gebäudes speziell ausgelegt werden, die Statik einer gewöhnlichen Halle würde der Belastung durch den regelmäßigen Spielbetrieb nicht standhalten.

Den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg kostete dies keinen Cent. Finanziert wurde der Platz durch den Metro-Konzern und die Prof.-Otto-Beisheim-Stiftung. Auch die Betriebskosten übernimmt die Großmarktkette. Schulen und Vereine aus dem Bezirk haben die Möglichkeit, die Anlage kostenlos für Training und Spiele zu nutzen.

Trainieren über den Dächern - und Baustellen - von Berlin.
Trainieren über den Dächern - und Baustellen - von Berlin.

© Hannes Soltau

Der Metro-Fußballhimmel war in der Zeit seiner Entstehung europaweit der erste Sportplatz auf dem Dach eines Großmarktes. Bei der Eröffnung schauten sogar Weltmeister Pierre Littbarski und Torwartlegende Toni Schumacher vorbei. 2007 nahm die Standortinitiative „Deutschland – Land der Ideen“ den Trainingsplatz in ihre Liste der „ausgewählten Orte“ auf.

Das künstliche Grün ist von einem acht Meter hohen Zaun umgeben. Vor allem in der Anfangszeit habe der ein oder andere Ball trotzdem seinen Weg hinab gefunden, berichtet der Vorsitzende des Vereins, Daniel Sporbert. „Mittlerweile haben wir uns aber angewöhnt, nicht mehr so fest zu schießen.“

Jedes Wetter ist hier intensiver zu spüren

Echter Rasen wollte auf dem Dach nicht anwachsen, er verdorrte durch die Intensität der Sonneneinstrahlung. Im Winter hingegen kann der Platz nicht genutzt werden, da die Spielfläche extrem glatt wird. Zudem ist durch das zusätzliche Gewicht von Schnee und Eis die Deckenlast zu groß. Auch bei Gewitter herrscht absolutes Spielverbot. Zu groß ist die Gefahr von Blitzschlägen.

Ob Wind, Regen oder Hitze, hier oben sei jedes Wetter intensiver zu spüren, berichtet der Spieler Raik Lesener. Für Neue ist die Eingewöhnung nicht leicht. Nur ein jüngst dazugestoßener peruanischer Mitspieler habe sich über die exponierte Lage gefreut. Abgehärtet im wechselhaften Wetter der südamerikanischen Andenregion seien die Bedingungen für ihn optimal. Und an die Höhenluft musste er sich gar nicht erst gewöhnen.

Die meisten Besucher betreten den Fußballhimmel nicht wegen des Sports, sondern um die Aussicht zu genießen. Die Spieler von Blau-Weiß zeigen dafür Verständnis, schließlich habe man die schönsten Sonnenuntergänge der Stadt zu bieten. Unzählige Aufnahmen davon müssen durch Berlins Fußballforen geistern.

Besuch aus dem benachbarten Berghain

Wenn der Verein an einem Sonntag sein Heimspiel bestreitet, stolpern regelmäßig Gäste vom nahe gelegenen Berghain die Treppe hinauf, um sich nach einer durchzechten Nacht ein wenig den Wind um die Ohren pfeifen zu lassen. 90 Minuten regenerieren die verstrahlten Gestalten versunken in den Sitzschalen der Tribünen, dann taumeln sie nach Spielabpfiff zurück zur Afterhour.

Das Training neigt sich langsam dem Ende entgegen. Die Schatten der Spieler auf dem Feld werden länger, die untergehende Sonne malt helle Streifen auf den Horizont und taucht die Szenerie in ein sanftes Rot. Im letzten Gegenlicht zeichnet sich die Silhouette Berlins ab. Das Gewusel der Stadt lässt sich hier oben gut ausblenden. Nur das Quietschen und Rattern der nahen Stadtbahn erinnert daran, dass es auch noch ein irdisches Dasein gibt. Über dieses hat die Nacht bereits ihren Mantel gelegt. Die Flutlichtanlage weist den Weg hinab, vom Himmel zurück in das Schattenreich.

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