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Berliner Elektronik trifft HipHop aus Nairobi: Vom Madhouse in die Villa

Städtepartnerschaft mit Groove: Musiker aus Nairobi und Berlin nehmen gemeinsam ein Album auf. Eine Studiobegegnung.

Aus den Boxen schallt ein harter, schneller Beat. Andi Teichmann schraubt an seinem Mischpult herum. Es ist kalt im Tonstudio unter dem Dach des ehemaligen Untergrund-Clubs Villa in Friedrichshain. Der Teppichboden hat braune Flecken und aus dem frisch angefachten Mini-Ofen riecht es nach Petroleum. Rapper Kimya aus Nairobi und sein Kollege Lon’Jon haben in einer Ecke Platz gefunden. Lon’Jon textet einen Reim und wippt mit dem Fuß zum Takt der elektronischen Klänge. Er soll noch die fehlende Strophe für ein Lied einsingen – die letzte Aufnahme für das Album „BLNRB“.

„BLNRB“ steht für Berlin und Nairobi sowie eine neue Art von Städtepartnerschaft. Sie wurde vor knapp zwei Jahren vom Goethe-Institut Kenia und den Brüdern Andi und Hannes Teichmann initiiert. Berliner Elektronik trifft HipHop und Dancehall aus Nairobi. Genauer gesagt: 21 kenianische Künstler vereinen sich musikalisch mit drei Berliner Produzenten. Als Vorgeschmack auf das gemeinsame Album ist gerade eine EP mit fünf Stücken erschienen.

Neben den Teichmanns gehören auf deutscher Seite das Trio Jahcoozi und Modeselektor zum Team von „BLNRB“. Ziel der Zusammenarbeit sei es gewesen, die Clubmusik zweier Städte und Kontinente miteinander reagieren zu lassen, erklärt Johannes Hossfeld vom Goethe Institut Kenia. Zudem suche die Minimalszene in der Housemusik gerade neue Wege. „Wir wollten kein Projekt haben, bei dem die ‚Westler’ einen Ethno-Sampler herausbringen, nachdem sie im Ausland zu Besuch waren. Es sollte ein Zusammenspiel der Musikrichtungen sein“, sagt Hossfeld über das Projekt, das etwa 100 000 Euro gekostet habe.

Auf kenianischer Seite gehört die Gruppe Just A Band zum Projekt, die 2008 in ihrem Wohnzimmer die erste kenianische House-Platte produziert hat. Außerdem ist der blinde Gitarrist und Sänger Michel Ongaru dabei, der für eine eigenwillige Mischung aus kenianischem Benga, Soukous und Afro-Dub-Jazz steht und die zwölf Mitglieder der Gruppe Ukoo Flani, Kern eines etwa 100-köpfigen HipHop-Kollektivs mit Basis in den Slums von Mombasa und Nairobi. Die Percussiongruppe Radi steuert vielfältige Rhythmen bei, und HipHop-Queen Nazizi bildet den weiblichen Anteil des männerlastigen Zusammenschlusses.

Andi und Hannes Teichmann reisten Anfang 2009 in die kenianische Hauptstadt und erkundeten die Szene um Abbas. Der HipHop-Pionier rappt unter anderem auf „Sheng“, der schnell mutierenden Jugendsprache aus Swahili und Englisch. In regelmäßigen Abständen arbeiteten die deutschen Produzenten mit den ostafrikanischen Musikern zusammen, gaben Konzerte in Kenia und bezogen dieses Frühjahr gemeinsam ein Haus mit Studio in Nairobi.

Einen Monat Wohnen, Feiern und Musizieren unter einem Dach. „Einerseits ist das die Chance für einen Künstler intensiv und ohne Termindruck zu arbeiten. Andererseits gerieten wir alle auch zeitweise an den Rand unserer Nerven“, sagt Andi Teichmann. Fast 24 Stunden täglich sei in den zwei Studios produziert worden. „Manchmal haben sich Warteschlangen vor den Räumen gebildet“, ergänzt Lon’Jon. „Wir haben unsere Bleibe verrücktes Haus, the Madhouse, getauft“, erzählt Kimya und fängt an zu lachen. „Wir kamen in dem Monat vielleicht vier Mal vor die Tür, weil wir uns so festgebissen haben“, sagt Teichmann. „Stimmt, unser Fahrer hat uns oft das Essen gebracht, damit wir nicht umfallen“, erinnert sich Kimya.

Bei der Vielzahl von Musikern habe man irgendwann eingesehen, dass nicht jeder mit jedem Musik machen kann und dass das Team sich auf eine Auswahl an Künstlern und Stilen beschränken muss. „Wir haben uns herangetastet und herausgefunden, was wir mögen und was zu uns passt“, sagt Teichmann. Zudem sei es nicht immer leicht gewesen, den minimalistischen Techno-Klang, den er und sein Bruder produzieren, mit dem der anderen zu vermischen. Zum Beispiel mit dem fast melodischen Rap von Lon’Jon, Kimya und Ukoo Flani. „Es war schwierig, Beats zu kreieren, auf die die Jungs rappen konnten.“ Sie hätten viel ausprobiert, bis es beispielsweise mit einer Untermischung von klassischer Musik geklappt hätte.

„Wir rappen langsam, sodass Du es noch verstehen kannst“, sagt Lon’Jon. „Dirty Laundry“ heißt das erste Lied aus der Kooperation mit den Teichmann-Brüdern. Es ist auch auf der EP zu finden. Auf Deutsch heißt es „Dreckige Wäsche“. „Es handelt von Menschen, die im bildlichen Sinne viel Schmutz aufgeladen bekommen haben, von dem sie sich befreien wollen. Das betrifft vor allem junge Menschen“, sagt Lon’Jon.

In Nairobi sind die Grundlagen der Songs entstanden und es wurde viel vorproduziert. Beim Gegenbesuch der Kenianer in Berlin geht es nun um den Feinschliff und darum, die besten Lieder auszuwählen. „Auf dem Album wird alles drauf sein, was uns in Nairobi berührt hat. Wir haben sogar Töne wie das tägliche Regenprasseln oder den Klang des Generators eingebaut“, sagt Andie Teichmann. Für Kimya und Lon’Jon war das besondere Highlight in Deutschland das gemeinsame Konzert auf dem Worldtronics Festival im Haus der Kulturen der Welt. „Wir haben tagelange geprobt und dann lief es wirklich gut“, erzählt Kimya.

Jetzt heißt es wieder Konzentration: Lon’Jon steht am Mikro. „Wir können“, sagt der 25-Jährige in Teichmanns Richtung. Plötzlich ist es still im Raum. Die Musik beschallt über Kopfhörer nur noch Lon’Jons Ohren. Mit tiefer Stimme rappt er ins Mikro, bewegt seinen Körper dabei vor und zurück. Plötzlich klingelt ein Handy. Teichmann hat vergessen es auszuschalten. „Mist, das war nichts. Mach’ bitte nochmal“, sagt er und lacht.

„BLNRB“ ist bei OutHere Records

erschienen.

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