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© DAVIDS/Carlos

Berliner Ensemble: Die Geschichte von Hochhuth und Peymann

Er will doch nur spielen: Der Dramatiker Rolf Hochhuth geht vor dem Berliner Ensemble in Stellung. Ein Überblick über die Vorgeschichte.

Was bisher geschah: Ach je, die Vorgeschichte des Konflikts zwischen Rolf Hochhuth (berühmter deutscher Autor zum Beispiel des Stücks „Der Stellvertreter“ und über die Ilse-Holzapfel-Stiftung, Miteigentümer des Theaters am Schiffbauerdamm) und Claus Peymann (berühmter Regisseur und Intendant des Berliner Ensembles) ist so alt und verschlungen und wird in jedes Jahr um eine neue Facette bereichert, dass an dieser Stelle leider nur eine Kurzversion möglich ist, ohne Gewähr.

Also: Vertraglich steht es Rolf Hochhuth zu, fünf Sommerwochen im Jahr die Bühne des Berliner Ensembles mit eigenen Schauspielern zu nutzen. Schon im vierten Jahr verhindert das der Intendant des Berliner Ensembles Claus Peymann aber – in diesem Jahr unter anderem mit der Begründung, an der Bühne werde gebaut. Hochhuth will also ins Haus, Peymann macht die Tür nicht auf. „Ich komme aber trotzdem“, sagte daraufhin Rolf Hochhuth und erwirkte mit seinem Anwalt Uwe Lehmann-Brauns eine einstweilige Verfügung: Am Freitag, dem 24. Juli, stehe er um 11 Uhr mit seinen Schauspielern vor der Tür und werde sich Zutritt zum Haus verschaffen, um das Stück „Sommer 14“ zu probieren. Da aber der Berliner Senat beim Berliner Landgericht noch am Donnerstag die „einstweilige Einstellung“ der Einstweiligen Verfügung erwirkte, bleiben die Türen trotzdem zu. Was gestern geschah, am Tag des angekündigten Showdowns. 10.15 Uhr. Der Platz vor dem Berliner Ensemble liegt menschenleer. Es gibt sogar Parkplätze.

10.17 Uhr. Ein Kurierwagen fährt bis zum schmiedeeisernen Tor des Bühneneingangs. Während die Pförtnerin den Erhalt eines Paketes quittiert, sagt sie: „Ich weiß von nichts. Ich mach’ nur, was mein Chef sagt“. Gemeint ist Claus Peymann. „Und was der sagt, wissen Sie ja“ – nämlich, dass Rolf Hochhuth keinen Schlüssel bekommt. Sie schließt das Tor und verschwindet im Kabuff.

10.20 Uhr. Ein Wagen des RBB hält vor dem Theater. Drei Männer steigen aus, schauen, Arme vor der Brust verschränkt, über den leeren Platz. Einer winkt ab. Undefinierbarer Baustellenlärm von der anderen Spreeseite. Es beginnt zu nieseln.

10.28 Uhr. Eine alte Dame in pastellfarbener Bluse geht zum Haupteingang des Berliner Ensembles, drückt auf die Klinke. Die Tür öffnet sich nicht. Sie setzt sich (zufrieden?) zu Füßen der Statue des sitzenden Brecht und raucht eine Zigarette.

10.35 Uhr. Eine Traube Journalisten hat sich gebildet. Man schaut einerseits ratlos, registriert andererseits mit Adleraugen das wenige, das auf dem Gelände geschieht. Besonders die rauchende Dame zu Brechts Füßen erregt Interesse. „Ich bin so aufgeregt“, sagt ein Kollege. „Lange nicht mehr so ein ...“ Ihm fällt das passende Wort für das gegenwärtige Ereignis nicht ein.

10.40 Uhr. Eine zweite Gruppe hat sich gebildet. Sie steht nur wenige Meter vom Bühneneingangsgitter entfernt. Hat das etwas zu bedeuten? Auf Nachfrage stellt sich heraus: Es sind Hochhuths Schauspieler, die schon seit zwei Wochen auf der Bühne der Akademie der Künste proben. Kommt Hochhuth denn? Achselzucken. Niemand trägt einen Rucksack, in dem sich eine Brechstange verbergen könnte.

10.45 Uhr. Plötzlich steht Hochhuths Anwalt Uwe Lehmann-Brauns unter einem Baum, aus dem gerade Schwalben schreiend gen Himmel stieben. Hände in den Hosentaschen. Will nichts sagen.

10.49 Uhr. Mit saugendem Schmatzen schwenkt die Journalistenaufmerksamkeit kollektiv von Lehmann-Brauns weg zu einem älteren Herrn hin, der auf einem Fahrrad angeradelt kommt. Einen Lidschlag Stille. Rolf Hochhuth ist da. Auf einem Damenrad. An dessen Lenker eine rote Plastiktüte baumelt. Mit intuitivem Gespür für Dramaturgie verlangsamt Rolf Hochhuth das Tempo, bleibt aber nicht stehen, sondern rollt langsam bis zum Tor des Bühneneingangs. Und jetzt? Einige Fotografen sind auf die Knie gefallen, um den Moment, in dem Hochhuth am Tor rüttelt, irgendwie von unten zu schießen. Aber Hochhuth rüttelt nicht. Er schließt nur das Fahrrad an.

10.51 Uhr. Rolf Hochhuth hält, ungefähr drei Meter vom Haupteingang des Berliner Ensembles entfernt, eine Pressekonferenz ab. Es stellt sich heraus: Er will sich gar keinen Zutritt verschaffen, die Proben würden sowieso in der Akademie weitergehen. Er wolle das Stück „Sommer 14“, das übrigens vor Jahrzehnten im Auftrag Claus Peymanns fürs Wiener Burgtheater geschrieben worden sei, nur vom 22. bis 26. August im Haus aufführen. Und da am 13. August vor Gericht noch einmal die Einstweilige Verfügung verhandelt werde, sei darüber das letzte Wort noch nicht gefallen.

Dann sagt Hochhuth, dass Claus Peymann einen „schlechten Charakter“ habe. Und dass das BE deshalb so hohe Auslastungszahlen habe, weil Peymanns Dramaturg Hermann Beil, sobald die letzten Zuschauer das Foyer verlassen hätten, die Restkarten aufkaufe. Außerdem: Peymanns Anwalt Peter Raue erhalte „vom BE ein Fixum von 20 000 Euro monatlich“ und brauche, um diese Summe zu rechtfertigen, einen nie endenden virtuellen Konflikt mit einem virtuellen Feind – ihm. Und schließlich: Natürlich werde er dem BE und dem Berliner Senat kündigen. Ein Nachmieter sei auch schon gefunden! Lehmann-Brauns, dessen Haupthaar vor Entsetzen über Hochhuths Worte zu Berge steht, bittet die Anwesenden, die erregten Worte seines Mandanten nicht auf die Goldwaage zu legen.

Folgendes sagt Rolf Hochhuth aber auch: Dass Peymann vor zwanzig Jahren eine „mustergültige Uraufführung“ seines Stückes auf die Bühne gebracht habe. Ist dieser Konflikt in Wirklichkeit doch nicht so facettenreich und auf so etwas Simples wie Liebesentzug zurückzuführen? Aus der verregneten Farce ist ein zutiefst betrübliches Trauerspiel geworden. Man wünscht sich, der Gott des Sommertheaters schritte endlich ein.

11.05 Uhr. Was er auch tut. Rolf Hochhuth, plötzlich wieder vergnügt, sagt, dass er nun in der Akademie der Künste weiterproben müsse – und radelt davon.

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