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Kultur: Berliner Ensemble: George Taboris Brecht-Akte Nummer zwei: "Von der Freundlichkeit der Welt"

In der ersten Reihe der Zuschauertribüne auf der alten Probebühne des Berliner Ensembles sitzt George Tabori. Er hört nur zu und erweist sich gerade in diesem ruhig-gespannten Dasein als der zurückhaltende, kaum sichtbare, aber immer spürbare Dirigent des "Abends mit Brecht".

In der ersten Reihe der Zuschauertribüne auf der alten Probebühne des Berliner Ensembles sitzt George Tabori. Er hört nur zu und erweist sich gerade in diesem ruhig-gespannten Dasein als der zurückhaltende, kaum sichtbare, aber immer spürbare Dirigent des "Abends mit Brecht". Es ist, als läse George Tabori die Verse selbst und zunächst nur für sich allein im staunenden Versuch, ihnen auf den Grund zu kommen, ihre vielgestaltige Einheit ganz neu und anders zu entdecken als bisher. Für diese Entdeckungen aber braucht er dann seine Schauspieler Therese Affolter, Carmen-Maja Antoni, Krista Birkner, Jürgen Holtz, Roman S. Pauls, Uwe Preuß und die Pianistin Christine Reumschüssel. "Von der Freundlichkeit der Welt" wird gehandelt, und dahinter steckt eine gütige, aber auch sehr ironische Widerspenstigkeit. Das Wissen über ein Jahrhundert, in Brechts Lyrik geborgen, erschließen die Vortragenden mit überlegener Ruhe.

Die drei Abteilungen des Abends - Leben, Krieg, Theater - bedeuten dabei nicht mehr als eine lockere Ordnung des poetischen Materials. Denn im Grunde geht es, in fließenden Übergängen und fast unmerklichen Änderungen des Arrangements, immer wieder um ein Ganzes: Der Dichter, ausgesetzt den "finsteren Zeiten", sucht nach Helle, nach der Möglichkeit, das Dunkle namhaft und überwindbar zu machen, auch und nicht zuletzt im Genuss, der Sinnliches und Geistiges miteinander verschmilzt. Tabori und die Schauspieler gehen dabei zurück auf das Ursprüngliche, den "eigentlichen" Text der Gedichte, befreien ihn von Umhüllungen, von konventionellen Überlagerungen, auch von einem in Jahrzehnten gemästeten Unterhaltungswert. Carmen-Maja Antoni spricht den Song vom "Surabaya-Jonny", und plötzlich erschließt sich das Wehmütig-Trotzige, Spöttisch-Überlegene der Verse ganz neu - erst zum Schluss kommt dann Kurt Weills Musik dazu, zart und verhallend. So liest Uwe Preuß die Moritat vom Mackie Messer von einem vielfach gefalteten Zettelchen ab, so gibt sich Therese Affolter staunend an den Barbara-Song hin, zunächst wieder ohne die Musik Kurt Weills - und man hört ganz neu auf den Rhythmus, auf die vertrackt böse Dialektik des Gedichts. Gemeinsam werfen sich die Sieben Brechts Ratschläge für Schauspieler zu, bei den Keuner-Geschichten kommt es fast zu einer fröhlichen Rauferei um Manuskript-Blätter.

Ein beglückend souveräner Abend zum Abschluss der ersten Peymann-Spielzeit, und weit mehr als ein kluger Schachzug: Mit Taboris Brecht-Akte hatte die BE-Saison ja auch begonnen.

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