zum Hauptinhalt

Berliner Ensemble: Puntilas langer Schatten

Heute vor 60 Jahren feierte das Berliner Ensemble seine erste Premiere. Ein Gedenkblatt.

Nun hat Matti, Knecht des finnischen Gutsbesitzers Puntila, tatsächlich die Macht übernommen. Aber anders, als das Brecht in seinem Volksstück vorgesehen hat. Bei Michael Thalheimer am Deutschen Theater drückt ein maulfauler Chauffeur dem alles andere als versoffenen Gutsbesitzer die Augen zu – und geht seiner Wege. Es hat, so muss diese Szene wohl gedeutet werden, alles keinen Sinn mehr. Die Welt, ob die vom Herrn oder die vom Knecht, ist ohnehin verloren.

Fast genau sechzig Jahre vor dieser verstörenden Aufführung zog der Gutsbesitzer Puntila schon einmal im Deutschen Theater ein. Es war der 12. November 1949, als dort die erste Premiere des gerade unter der Leitung von Helene Weigel gegründeten Berliner Ensembles stattfand – den Vorhang zierte Picassos Friedenstaube. Zusammen mit Erich Engel führte Brecht selbst Regie, die Ausstattung schuf Caspar Neher, Leonard Steckel spielte den Puntila, Erwin Geschonneck den Matti. Es war ein Fest, von der Kritik aus Ost und West bejubelt.

Sechzig Jahre Theatergeschichte, welche Wandlungen, welche radikalen Umbrüche im Ästhetischen wie im Politischen! Nicht vergessen werden darf allerdings, dass der denkwürdigen BE-Premiere mit „Puntila“ im Deutschen Theater heftige Auseinandersetzungen vorausgegangen waren. Brecht wollte ja, gerade nach dem triumphalen Erfolg der von ihm und Erich Engel inszenierten Chronik „Mutter Courage und ihre Kinder" mit Helene Weigel am Deutschen Theater (11. Januar 1949), so bald wie möglich auf eigenen Füßen stehen. Denn die „Courage“ war eine Aufführung des von Wolfgang Langhoff geleiteten DT, sie stand in Abhängigkeit zu den künstlerischen, technischen, finanziellen Bedingungen dieser Repertoire-Bühne.

Brecht, gerade aus der Emigration zurückgekehrt, verlangte mehr. In seinem Auftrag ging Helene Weigel daran, mitten in den Ruinen des zerstörten Berlin die Möglichkeiten für ein eigenes, völlig neues Theater zu prüfen und zu schaffen. Brechts Theaterästhetik begegnete ja oft unüberwindbar scheinenden Vorurteilen der aus Moskau nach Ostberlin zurückgekehrten, auf Stanislawski eingeschworenen Verantwortlichen für Kultur und Theater. Helene Weigel erreichte also mit der Gründung des Berliner Ensembles und der (auch finanziellen) Zusicherung seiner Eigenständigkeit viel, aber nicht alles. Ihr Vertrag als Intendantin (zunächst nur für ein Jahr!) trägt das Datum vom 18. Juli 1949. Der Traum des Dramatikers von einem eigenen Theater war damit aber noch nicht erfüllt. Brecht wollte unter allen Umständen ins Theater am Schiffbauerdamm, wo „Die Dreigroschenoper“ 1928 ihren legendären Erfolg gefeiert hatte. Dort aber, in dem so gut wie ohne Schäden über den Krieg gekommenen Theatergebäude, war Fritz Wisten mit einem Ensemble untergekommen, das nach dem Wiederaufbau in das kriegszerstörte Stammhaus der Volksbühne am Luxemburg-Platz überwechseln sollte. Brecht scherte das wenig, er wollte sofort in sein Theater einziehen. Und auch vor ungerechten, einseitigen Beurteilungen der Arbeit Fritz Wistens scheute der Dramatiker nicht zurück, das Schicksal des während der Nazizeit rassistisch Verfolgten nahm er nicht zur Kenntnis.

Es ist nicht ohne Tragik, dass die Beziehung zwischen den beiden antifaschistischen Theaterleuten so schwierig, manchmal nahezu feindselig war. Brecht witterte bürgerliches, provinzielles Theater bei Wisten. Aber die Bedingung der Partei- und Kulturfunktionäre Ostberlins, dass er erst nach Wistens Umzug in die wiederhergestellte Volksbühne Hausherr im Theater am Schiffbauerdamm werden könnte, war nicht zu brechen. Fast fünf Jahre blieb das Berliner Ensemble Untermieter im Deutschen Theater. Eine konfliktreiche Situation – zwei Theater, durchaus miteinander konkurrierend, in einem Haus. Erst am 19. März 1954 feierte das Berliner Ensemble den Einzug ins Theater am Schiffbauerdamm mit „Don Juan“ von Molière unter der Regie von Benno Besson. Nur etwas mehr als zwei Jahre konnte Brecht am eigenen Haus arbeiten. Er starb am 14. August 1956.

Mit Leonard Steckel hatte Brecht schon bei der Zürcher Uraufführung des „Puntila“ im Juni 1948 gearbeitet. „Steckel stellt die besondere, puntilaische Trunkenheit dar, nämlich diejenige, durch die der Gutsbesitzer seine Menschenähnlichkeit erringt“, urteilte Brecht, der Matti des Erwin Geschonneck wird als aufsässig und schelmenhaft überlegen beschrieben. Zwei Jahre später gab es eine Neueinstudierung mit Curt Bois als Puntila, die spielerischer, artistischer geriet. Einar Schleef versuchte 1996 im Berliner Ensemble, Bilder anderer Art zu finden, mit Eruptionen von Gewalt und Sexualität in großen chorischen Passagen. Die Aufführung hatte überschäumende Kraft und eine geradezu wütende Vitalität. Den Puntila spielte Schleef selbst, als Herrscher, der sich ein Volk untertan macht, nicht zuletzt mit unbändiger Lebenslust.

Heute sitzt der Puntila des Norman Hacker im Deutschen Theater am Ende seiner, am Ende der Geschichte auf einem Stuhl, mit rotbeflecktem, blutigem Hemd, müde, erledigt, ein Opfer. Das Bedenklichste: Es fällt nicht leicht, sich dieser Müdigkeit zu entziehen.

Zur Startseite