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Akustiktreppe

© Festival

Berliner Festival: Hör’ dir mal den Alex an

Stadt als Echokammer: das Klangkunst-Festival "Tuned City".

Sam Auinger hat die traurigsten Lautsprecher der Stadt entdeckt. Am Lokal „Goldener Anker“, wo die Straßenbahn rumpelnd von der Karl-Liebknecht-Straße zum Bahnhof Alexanderplatz einbiegt, bemühen sich zwei kleine Boxen verzweifelt, Gemütlichkeit zu erzeugen. Ihr Scheppern verliert sich im Rauschen der Straße, im Rattern der Züge.

Missverständnis Nummer eins: dass man überall einfach auf „Play“ drücken kann. „Die Klangereignisse sind nur die Zutaten. Was im Ohr ankommt, bestimmt die Architektur“, sagt Sam Auinger, der beim heute eröffnenden Klangkunstfestivals „Tuned City“ einlädt, die Stadt akustisch zu begreifen. Wer mit dem Klangkünstler einen „Soundwalk“ unternimmt, beginnt sich zu wundern über all die akustischen Fehltritte in der Stadt. Etwa die Glasfassade des Multiplexkinos am anderen Ende des Bahnhofs: Geht optisch in Ordnung, spiegelt aber den ganzen Umgebungslärm zurück auf den Platz.

Missverständnis Nummer zwei: dass es reicht, wenn Häuser gut aussehen. „Visuell ist unsere Welt bis ins Letzte durchdesignt“, erklärt Auinger in warmem österreichischen Akzent, „die Akustik aber ist völlig zufällig.“ Mit dem Festival „Tuned City“ werden Künstler und Architekten vom 1. bis 5. Juli den Stadtraum auf seine akustische Seite befragen: Wie klingt die Stadt? Und was ist zu tun, damit sie besser klingt?

Veranstalter Carsten Stabenow hat zehn Jahre lang das Klangkunstfestival „garage“ in Stralsund organisiert. Nun rückt er vor ins Zentrum Berlins, wo akustische Fragen meist auch soziale sind. „Wir suchen gerade die Unorte auf“, sagt Stabenow, „und fragen, wie man die angenehmer machen kann.“ Mit Vorträgen, Diskussionen und Kunstaktionen wird das Festival durch die Stadt wandern.

Wie sehr das Hören unbewusst Wahrnehmung und Wohlbefinden steuert, ist wenig bekannt. Die überdachte Passage zwischen Kaufhof und Hotel ist erfüllt vom Lärm der Skateboarder, die Tricks üben. „Auf dem offenen Platz würde ihnen das nur halb so viel Spaß machen“, sagt Auinger. „Der Hall macht sie größer.“ Daneben versuchen Cafégäste, sich zu unterhalten. „Wenn hier eine Mutter mit ihrem Kind spricht, wird es glauben, es würde ausgeschimpft.“ Missverständnis Nummer drei: dass soziale Kommunikation unabhängig ist von der Umgebung.

Auinger, der an der UdK im Studiengang „Sound Studies“ unterrichtet, ist auf einem Bauernhof in Oberösterreich aufgewachsen. Visuelle und akustische Informationen stimmten dort immer überein, das Knirschen des Kieswegs verriet, wer sich dem Haus näherte. „Jahrtausendelang haben wir uns über das Hören orientiert“, sagt der Künstler. Doch die Stadtumgebung, die uns ständig mit einer Vielzahl widersprüchlicher Signale bombardiert, zwingt zum Abschalten. „Wenn die Informationen nicht mehr zusammenstimmen, gibt der Orientierungssinn auf.“

Erst die Entwicklung elektronischer Klangerzeugung warf Fragen nach der technischen Beeinflussung von Akustik auf. Zwischen Sender und Empfänger trat auf einmal das technische Medium. Ein neues Gestaltungsfeld war geöffnet. Und es scheint, als seien wir im Umgang damit noch heillos überfordert. Als irrten wir im akustischen Raum umher wie Blinde. Erst langsam werden die Probleme erkannt. Und Lautstärke ist nur ein kleiner Teil davon. „Wir haben verlernt, uns durch das Hören mit unserer Umwelt zu verbinden“, sagt Barry Blesser, der heute Abend zur Eröffnung spricht. Der Großvater der digitalen Audiotechnik hat ein Buch geschrieben, das den Begriff der „Aurealen Architektur“ ins Spiel bringt.

Werden die Städte der Zukunft akustisch durchgeplant? Die Forschungsgruppe „Auditive Architektur“ an der UdK hat das vor. In einer Mischung aus künstlerischen und wissenschaftlichen Methoden versucht sie, den Klang eines Ortes abzubilden und Möglichkeiten zu finden, ihn zu beeinflussen. Der Ansatz unterscheidet sich grundlegend von dem der klassischen Raumakustik, die sich mit den Schwingungen befasst, die durch Luft und Gebäudeteile übertragen werden.

„Meeresrauschen und Verkehrsrauschen sind sich im Klangbild ähnlich“, erklärt Thomas Kusitzky, einer der Leiter der Forschungsgruppe. „Warum nehmen wir das eine als beruhigend wahr, das andere als störend?“ Hier hilft die Physik nicht weiter. „Unser Ansatzpunkt ist der Hörer. Was kommt bei ihm an? Wie empfindet er es?“ Kusitzky betont auch die soziale Dimension von Akustik: „Je lauter die Umgebung wird, desto mehr schottet man sich ab, mit Schallschutzfenstern, Trittschallschutz und Kopfhörern.“ Eine auditive Architektur könnte somit zum Zusammenhalt technisierter Gesellschaften beitragen.

Zurück am Alexanderplatz. Ein Junge trampelt auf einem Lüftungsschacht herum. Auf jedes Stampfen antwortet das Metallgitter mit lautem Scheppern. Die Hässlichkeit des Ortes beeindruckt den Kleinen wenig. Er traut seinen Ohren.

Eröffnung heute, 1. Juli., 17 Uhr in der Galerie general public, Schönhauser Allee 167c. Programm auf www.tunedcity.de

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