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Kultur: Berliner Festwochen: Tagebuch: Die aktuellen Konzerte

Da glaubt man, für die Musik des letzten Jahrhunderts praktikable Schubladen gefunden zu haben, und nun gerät wieder alles durcheinander. Edgard Varèse galt als Kultfigur der Moderne, doch in der an sich den richtigen Stimmungsrahmen bietenden Akademie der Künste verlieren seine Werke - allesamt Kultstücke - plötzlich ihre provokative Frische.

Da glaubt man, für die Musik des letzten Jahrhunderts praktikable Schubladen gefunden zu haben, und nun gerät wieder alles durcheinander. Edgard Varèse galt als Kultfigur der Moderne, doch in der an sich den richtigen Stimmungsrahmen bietenden Akademie der Künste verlieren seine Werke - allesamt Kultstücke - plötzlich ihre provokative Frische. Sind sie etwa von der Entwicklung überholt worden? Wohl kaum, wenn man sich an Aufführungen in den letzten zwanzig Jahren erinnert. Vielmehr scheint das Kammerensemble Neue Musik, das unter seinem ehemaligen künstlerischen Leiter und jetzigen Gast Roland Kluttig einen Ruf in zeitgenössischer Interpretation zu verteidigen hat, ihren Differenzierungen nicht ganz gewachsen. In starrer Diktion des als verheißungsvoller Nachwuchs gehandelten Dirigenten entsteht in den grellfarbigen Bläser-Auftürmungen von "Octandre" eher Lärm als Spannung. Der Pionier des emanzipierten Klangs wie des Geräuschs, der seine Musik für "akustische Medien konzipiert(e), die es noch nicht gab", verlangt jedoch nach Top-Solisten, in jeder Stimme. Auch in "Offrandes", 1921 noch leicht auf Debussy zurückweisend, lässt sich das Flair zart gleitender Streicher- und Harfenlinien zum zurückhaltenden Sopran Elizabeth Keuschs nicht schlüssig mit den derben Bläsern ausbalancieren. Und Sascha Friedl erhält nach einer überflüssigen, die Dramaturgie des Abends zerbrechenden Pause nicht den Hauch einer Chance, das kurze Flötenstück "Density 21.5" zu irgendeiner Wirkung zu bringen. Rührt die Unstimmigkeit vielleicht daher, dass das KNM ein "KNM DOCK orchestra" ins Leben gerufen hat, eine flexible Erweiterungsmöglichkeit, in der immer andere Gruppierungen am Stammensemble "andocken" können? Diesmal das Schlagquartett Köln; das allerdings ist fabelhaft. In "Intégrales" und "Déserts" faszinieren so die minuziös abgestimmten Dialoge von Holz-, Metall- und Membranklängen, wobei der Meister selbst im alten, knisternden Zuspielband zum Finalstück noch eine ganz andere Dimension von Farbigkeit und präziser Fantasie ins Spiel bringt.

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