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Kultur: Berliner Festwochen: Tagebuch: Die aktuellen Konzerte

Zustände verändern sich, langsam, kaum merklich, oder abrupt. "Zustände" nennt Wolfgang Rihm die Wachstumsstadien seines Zykluses "Jagden und Formen", der im Lauf der letzten fünf Jahre immer wieder seine Gestalt gewandelt hat: ein Zyklus, der keine Folge von Stücken sein will, sondern ein einziges "work in progress".

Zustände verändern sich, langsam, kaum merklich, oder abrupt. "Zustände" nennt Wolfgang Rihm die Wachstumsstadien seines Zykluses "Jagden und Formen", der im Lauf der letzten fünf Jahre immer wieder seine Gestalt gewandelt hat: ein Zyklus, der keine Folge von Stücken sein will, sondern ein einziges "work in progress". Einzelstücke wie "Gejagte Form" oder "Pol" schieben sich zu einer großen strophisch variierten Form ineinander, überlagern sich, brechen auseinander hervor, treiben einander weiter, in neues Wachstum, ins "Verdorren" (Rihm). Die jüngste Gestalt von gut dreiviertelstündiger Dauer ist datiert auf den Oktober diesen Jahres. "Zustand X/2000", wurde vom Ensemble Modern, das den Wachstumsprozess von "Jagden und Formen" als Interpreten wesentlich ermöglicht, am Tag vor dem Berliner Konzert bei den Luxemburger Weltmusiktagen erstmals gespielt. Das Stück beginnt jetzt nicht mehr mit jener erbarmungslosen Triolenhetzjagd der gekoppelten Flöten- und Klarinettenpaare, die den Grundcharakter dieser Musik bestimmt, sondern mit einem davor geschobenen Streicherblock, der in einem locker swingenden 7-Achteltakt mit zwei Violinen anhebt, um dann mit nervösen Zuckungen in das Stück hineinzuwachsen. Fast im letzten Augenblick hatten die Musiker diese Noten zum ersten Mal vor sich, aber für Rihm ist das Stück schon wieder weiter, neue Wachstumsknoten hat er während der Generalprobe gefunden und notiert.

Rihms hochvirtuose Partitur für ein echtes Solistenensemble hat vor allem in den Bläsern des Ensemble Modern unübertreffbare Interpreten gefunden. Dass aber gut fünfundvierzig Minuten motorisches Musizieren, nur in wenigen Momenten durch dunkle Schattenfelder oder nachvibrierende Klänge unterbrochen, nicht als Musikantentum, sondern wirklich als existentieller Drahtseilakt empfunden werden konnten, ist der hochgradig gespannten, ebenso souveränen wie fordernden Leitung von Dominique My zu verdanken. Der Kammermusiksaal war zu diesem Abschluss der Festwochen noch einmal gut besucht; der Beifall, den Publikum, Musiker, Dirigentin und Komponist aneinander weiterreichten, wollte kaum ein Ende nehmen.

wilk

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