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Kultur: Berliner Holocaust-Mahnmal: Konzentrationsraum

Wie bewegt man sich unter einem Mahnmal? Das Kuratorium der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas hat über die Gestaltung des aus vier Räumen plus Foyer bestehenden "Ortes der Information" unter Peter Eisenmans Stelenfeld südlich des Brandenburger Tores entschieden.

Wie bewegt man sich unter einem Mahnmal? Das Kuratorium der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas hat über die Gestaltung des aus vier Räumen plus Foyer bestehenden "Ortes der Information" unter Peter Eisenmans Stelenfeld südlich des Brandenburger Tores entschieden. Im "Raum der Stille", sagt die erwählte Designerin Dagmar von Wilcken bei der Präsentation ihres Entwurfs im Reichstag, werde man "mit leicht gebeugter Haltung" die auf Glas ebenerdig eingelassenen, einstimmenden Daten und Texte lesen können: das passe zur geforderten "inneren Einkehr". Der Sprecher der Kuratoriums-Arbeitsgruppe "Gestaltung", Salomon Korn, beschreibt seine Vorstellung von "Kirchenfenstern auf dem Boden" - ein sakrales Raumerlebnis, das durch "technizistischen" Monitoren-Einsatz in den Folgeräumen nicht profanisiert werden dürfe; später zieht er den "unglücklichen Begriff" des Sakralen zurück und definiert einen Besinnungsraum, in dem "man mehr mit sich selbst zusammen ist, bis man dann denen begegnet, um die es hier geht". Der Kuratoriumsvorsitzende Thierse wiederum räumt ein, dass es an diesem Ort um "Konzentration, Meditation" gehe, wobei jedoch jeder Gedanke an eine "negative Sinnstiftung" abwegig sei. Wie redet man von einem Holocaust-Denkmal? Ganz vorsichtig.

Es ist nicht lange her, da witterten die Verteidiger des nationalen Holocaust-Denkmals im Vorhaben eines ergänzenden "Ortes der Information" einen Angriff auf die ästhetische Wucht des Eisenman-Kunstwerks sowie Konkurrenz zu den bestehendenen Gedenkstätten. Auf diesem erinnerungspolitischen Hintergrund ist das Neue am Entwurf der Berliner Designerin Dagmar von Wilcken ihre Einbeziehung des Denkmals in die unterirdische Einrichtung. Von Wilcken gestaltete zuletzt die Ausstellung "Juden in Berlin - 1938 bis 1945" im Centrum Judaicum; ihr Vorschlag an das Kuratorium basiert auf einem inhaltlichen Konzept der Historiker Jäckel, Nachama und Rürup. Man wolle damit, betont Salomon Korn, nicht einen, sondern den unverwechselbaren Info-Ort schaffen: "die Fortsetzung des Stelenfeldes in überdachter Form". Das Element jener Säulen, durch die der Besucher zuvor bei Tageslicht wandelt, begegnet ihm hier auf vier mal 150 Quadratmetern in anderer Gestalt. Im "Raum der Schicksale" wachsen Stelen wie Stalaktiten, auf denen die Biografien Ermordeter dokumentiert werden, von der Decke herab: Abstrakte Zahlen sollen sich durch die Texte und Fotos "mit Anschauung erfüllen" (Thierse). Im "Raum der Orte", wo die Expansion des europaweiten NS-Terrorsystems durch kurze Filme vorgeführt wird, und im "Raum der Namen", wo fünf Millionen von Yad Vashem übermittelte Namen Ermordeter durch Sprecher aus vielen Ländern Europas rezitiert werden, tauchen die Stelen als Sitzbänke auf. Die Höhe der Räume wechselt, entsprechend dem Gefälle des Denkmalfeldes darüber. Als Problem benennt der Kuratoriumsvorsitzende einen möglichen "Bruch" zwischen den besinnlichen Zonen des Infokellers und jenen Winkeln, auf denen Biografie-Recherche am Computer angeboten wird. Außerdem sorgt sich das Kuratorium um die Bewältigung des Besucherandrangs auf engstem Raum.

Das Tal der Erbsenzähler, in dem es nur noch ums Zählen diverser Milliönchen ging, hat die Denkmal-Stiftung hinter sich gelassen. 50 Millionen Gesamtkosten werden nicht mehr in Frage gestellt, im Sicherheitsstreit mit der US-Botschaft gab man fünf Meter Randstreifen nach, für Ende 2001 erwartet man den Baubeginn. Dass sich Bausenator Strieder in diesem Punkt pessimistisch äußert, versteht der Optimist Thierse: Strieder habe mit dem Ärger um die Topographie des Terrors schlechte Erfahrungen gemacht. Doch so läßt sich der eigentliche Zusammenhang Mahnmal - Topographie nicht vom Tisch wischen. Der klar dem Denkmal zugeordnete Entwurf der "Ortes der Information", in dem auch Verweise auf andere Gedenkstätten und Opfergruppen vorgesehen sind, entkräftigt zwar den Vorwurf einer inhaltlichen Konkurrenz zur Topographie. Doch könnte der Verdacht, dass da Bundesgelder verbaut werden, die am Ende für die Realisierung des Zumthor-Baus über dem "authentischen Ort" fehlen, wieder auftauchen, wenn am 4. April der Senats-Hauptausschuß über das von Minister Nida-Rümelin auf 76 Millionen gedeckelte Projekt befindet. Die Topographie des Terrors erfreut sich nur zur Hälfte der Bundesträgerschaft, nicht komplett wie das Jüdische Museum und das Mahnmal, deren öffentliche Anerkennung nicht zuletzt aus der Identifikation der Täter-Nachkommen mit den Opfern resultiert. Die Topographie des Terrors als Dokumentation des vom Volk der Täter getragenen Mordapparates muss diese Gedenkstruktur ergänzen, sonst kriegt die Erinnerung Schlagseite.

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