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Kultur: Berliner Kinowelt: Nach dem Gründerwahn

Schon komisch: Seit Wochen soll das Kino fertig sein, nur eröffnet wird es nicht. Schon mehrfach hat der Betreiber den Starttermin verschoben.

Schon komisch: Seit Wochen soll das Kino fertig sein, nur eröffnet wird es nicht. Schon mehrfach hat der Betreiber den Starttermin verschoben. Allein durch verschiedene Umbauten sei es immer wieder zu Verzögerungen gekommen, sagt er. Nun würden dort frühestens im Herbst Filme zu sehen sein. Was ist los mit dem Cubix am Alexanderplatz, dem neuesten Multiplex-Projekt der Ufa-Betreibergesellschaft, die zum deutschen Marktführer Cinemaxx gehört? Kommt der Bau-Stau den Machern vielleicht durchaus entgegen? Wenn das Großkino erst einmal in Betrieb geht, wird die Zahl der Berliner Kinosessel eine neue Zehntausender-Marke reißen: Über 30 000 Sitzplätze gibt es dann allein in den Multiplexen.

Der Berliner Kinomarkt hat die Sättigungsgrenze längst erreicht - und die Kinobetreiber, die im Boom-Fieber ein Multiplex nach dem anderen hochzogen, stehen nun, um es dramatisch auszudrücken, vor den Trümmern ihres Gründerwahns. Insgesamt 13 Großkinos haben in den letzten fünf Jahren eröffnet. Nur wenige Meter trennen das Cinemaxx am Potsdamer Platz vom CineStar im Sony Center, am Prenzlauer Berg konkurriert das Cinemaxx Colosseum mit dem Multiplex in der Kulturbrauerei.

Die Luft auf dem Kinomarkt ist dünn geworden, zu dünn, wie Ralf Schilling von der Kinokette United Cinemas International (UCI) meint: "Die Besucherzahlen sind in diesem Jahr zwar leicht gestiegen, aber nicht so stark, um die Kinosäle zu füllen." Auch Kai Lauterbach, Sprecher von CineStar, wünscht sich für das Kino am Potsdamer Platz mehr Besucher als bisher. Er vermutet den Grund für den Besuchermangel in nicht enden wollenden Bauarbeiten im Sony Center. Wer aber nur über die Straße geht und auf den Betrieb im Cinemaxx schaut, das ein weitgehend identisches Programm bietet, kann da zu anderen Schlüssen kommen.

Tatsächlich stecken die Multiplexe in einer tiefen Krise, obwohl Jahr für Jahr mehr Menschen in deutsche Kinos strömen. Gleichzeitig ist jedoch in den 90er Jahren die Zahl der Leinwände rapide gestiegen. Konnten sich die Berliner Zuschauer 1995 zwischen 162 Kinosälen entscheiden, standen ihnen Ende letzten Jahres 290 Säle zur Auswahl. Allein im Ostteil der Stadt hat sich die Zahl der Leinwände innerhalb von fünf Jahren verdreifacht. Und dieses Wachstum ist noch nicht am Ende. In Wedding entsteht ein weiteres Multiplexkino mit sieben Sälen und 1650 Plätzen. Eröffnungstermin: Februar 2002.

"40 000 Freikarten: eine Schweinerei!"

Logisch, dass die Betreiber mittlerweile um jeden Zuschauer heftig kämpfen. Vor allem mit niedrigen Eintrittspreisen versuchen die Kino-Ketten für sich zu werben. Nicht immer mit fairen Mitteln, wie Detlef Roßmann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Kino kritisiert. "Über die Dumping-Preise versuchen sie, die kleinen Kinos vor Ort kaputt zu machen", sagt Roßmann, dessen Verband unabhängige Programmkinos vertritt. "Als die Kulturbrauerei in Berlin aufgemacht hat, wurden 40 000 Freikarten verteilt. Das ist einfach eine Schweinerei."

Gegen die fortschreitende ruinöse Preispolitik will sich die AG Kino nun massiv zur Wehr setzen. Der Verband hat sich beim Bundeskartellamt über die Super-Dienstags-Aktion beschwert, mit der die Kino-Ketten gemeinsam den besucherschwächsten Tag attraktiver machen wollen. Seit Anfang Mai kostet der Eintritt in die Popcornfabriken an Dienstagen nur noch halb so viel wie sonst. Roßmann deutet den Half-Price-Day als kalte Preisabsprache, durch die Programmkinos vom umkämpften Markt gefegt werden sollen.

Einige Berliner Traditionshäuser sind dem Wandel bereits zum Opfer gefallen. Das Marmorhaus musste schließen, die Filmbühne Wien, das Olympia, das Gloria. Der einstigen Kino-Meile Kurfürstendamm, die es am härtesten traf, sind an seinem prominentesten Ende neben dem Cinema Paris nur noch das Astor und der Filmpalast geblieben. Doch auch in diesen beiden zur Cinemaxx-Kette gehörenden Häusern sieht die Lage nicht eben rosig aus; Theaterleiter Jürgen Friedrich tröstet sich einstweilen damit, "kostenneutral zu fahren".

Wenn die Mietverträge enden

Die Krise in der Branche kennt dabei kein Tabu. Fast hätte etwa Hans-Joachim Flebbes Cinemaxx AG ihr Stammhaus dichtgemacht, das Raschplatz-Kino in Hannover. Hier begründete Flebbe vor 24 Jahren sein Imperium - und hält bis heute seine schützende Hand darüber, trotz roter Zahlen. Doch wenn der breite Geldfluss aus den Cinemaxxen, mit denen auch manches brachliegende traditionelle Haus bewässert wurde, inzwischen versiegt? Immerhin bewirkte der Druck der Mitarbeiter und Lokalpolitiker, dass der Mietvertrag für das Raschplatzkino doch noch um ein Jahr verlängert wurde.

Das vorübergehende Happy End in Hannover ist, anders betrachtet, vielleicht ein böses Omen für Berlin. Denn grundsätzlich stehen, da der finanzielle Spielraum des börsengeführten Unternehmens eng geworden ist, vor allem die alten Häuser zur Disposition. Jürgen Friedrich rechnet zwar damit, dass Cinemaxx "beide Häuser halten will", doch schon bald dürfte sich zeigen, wie ernst es Flebbe mit der von ihm vielgepriesenen Filmkunst ist. Denn im Filmpalast und im Astor laufen die Mietverträge aus. Laut Friedrich soll der Vermieter des prominenten Eckhauses an der Fasanenstraße nicht gerade zwingendes Interesse haben, das Kino an diesem Standort zu halten.

Trotz dieser düsteren Aussichten hat das klassische Kino weiter eine Chance: meint zumindest der Soziologe Gerhard Neckermann, der für die Filmförderungsanstalt in die Branchenzukunft blickt. "Wenn sich die Multiplex-Szene bereinigt hat - und es werden einige große Kinos schließen müssen -, dann gibt es ein nennenswertes Potenzial für kleinere Kinos."

Schon jetzt gelingt es einigen kleinen Filmtheatern, sich durch geschickte Programmplanung eine Publikumsnische zu erarbeiten. Die Hackeschen Höfe behaupten sich seit fünf Jahren am Berliner Kinomarkt - mit Erfolg. Faustregel des Theaterleiters Burkhard Voiges: Je anspruchsvoller das Programm, desto größer die Resonanz. 260 000 Besucher kommen jährlich, Tendenz: steigerungsfähig. Ähnlich konsequent haben sich auch andere Filmtheater ihr Stammpublikum gesichert. So konzentriert sich das fsk am Oranienplatz auf französische Filme, die Filmbühne am Steinplatz zeigt verstärkt Dokumentationen.

Im Cubix am Alexanderplatz werden dagegen genau jene Filme laufen, die die Ufa auch in ihren umliegenden Multiplexen anbietet. Betriebswirtschaftlich eilig hat man es in solcher Situation nicht gerade. Andererseits: Geschlossen werden soll auch kein einziges der großen Multiplexe in Berlin. Sagen die Betreiber. Der simple Grund: Die Verträge laufen meist 15 bis 20 Jahre.

Nils Meyer

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