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Berliner Boheme. Alexander Camaro und Liselore Bergman, 1949.

© Berlinische Galerie

Berliner Künstlerkabarett "Die Badewanne": Wie der Witz aus Trümmern auferstand

Es war der angesagteste Laden des zerbombten Berlins: das Künstlerkabarett "Die Badewanne". Die Ausstellung "Berlin surreal..." ehrt nun diese Legende gewordene intellektuelle Spielwiese.

Für eine kurze Zeit war dies der angesagteste Laden, der aus den rauchenden Trümmern des zerbombten Berlins auferstanden ist. Ein Ort der Freiheit, der Frechheit, des Grenzen ignorierenden künstlerischen Narrenspiels, an dem sich Ulk und Ernst verschwisterten, wie es so abgedreht nur in diesen knappen sechs Monaten der Jahre 1949 und 1950 gelungen ist. Da lockte im Souterrain der früheren Femina-Bar in der Nürnberger Straße das Künstlerkabarett „Die Badewanne“ die Nachtschwärmer an. Eine Legende gewordene intellektuelle Spielwiese, deren Ruhm bis über die geschrumpften deutschen Grenzen schallte und die sich später in den führenden Jazzkeller von West-Berlin verwandelte. Der im Nationalsozialismus verpönte Jazz war die Protestmusik, die der Zusammenschluss von 22 Malern, Tänzern, Literaten und Musikern der „Badewanne“ liebte. Was sonst hätten die dem Surrealismus und Existenzialismus anhängenden Rebellen auch hören können? So wild und widerspenstig wie diese dem tausendjährigen Reich entronnenen Bohemians eines neuen, anderen Deutschlands waren.

Die im verwunschenen  Hinterhof in der Potsdamer Straße ansässige Camaro-Stiftung zeigt in der Ausstellung „Berlin surreal...“ erstmals rund 150 Gemälde, Fotos, Skulpturen, Skizzen und Texte, die einen fragmentarischen Eindruck von den Theater, Performancekunst, Tanz, Musik und Malerei verwebenden Aufführungen der „Badewanne“ geben. Nicht von ungefähr: Der Namensgeber der Stiftung, der Maler, Tänzer und Zirkusartist Alexander Camaro, der später als Professor an der Hochschule der Künste wirkte und sich ins Gedächtnis der Stadt als Schöpfer der bunten Glasfenster der Philharmonie eingeschrieben hat, ist einer der Kabarettgründer.

Zwischen Verzweiflung und Aufbruch

Um ihn, die Malerin Katja Meirowsky, deren Ehemann Karl Meirowsky und den Literaten Johannes Hübner scharen sich seinerzeit Künstler wie Jeanne Mammen, Werner Heldt, Heinz Trökes, Waldemar Grzimek, Wolfgang Frankenstein, Hans Laabs oder die Tänzerinnen Iris Barbura und Liselore Bergmann. Ein in den lichten Ausstellungsräumen zu lesendes Zitat von Frankenstein fasst das fiebrige, zwischen Verzweiflung und Aufbruch schwankende Lebensgefühl der Stunde Null zusammen, das in der Ausstellung – mangels Kabarettclips von vor 60 Jahren – etwas papierern bleiben muss: „Es war ein Seiltanz auf der Trennungslinie, in ein riesiges Gelächter zu verfallen oder nahe dem Selbstmord sich zu zerfleischen. Das Tragisch-Groteske ist, bei den Künstlern jedenfalls, das Lebensgefühl dieser Jahre gewesen.“

In parodistischen Spielszenen vor „lebendig“ werdenden, als Bühnenbild dienenden Gemälden arbeiten sich die „Badewannen“-Künstler bevorzugt an surrealistischen Ikonen wie Dalí oder Miró ab. Sie reflektieren Sartretexte, pflegen Maskenspiele nach Brecht und Remarque und beackern ihre Kriegstraumata in Schocknummern wie blutigen OP-Szenen oder gespielten Selbstmorden. Zeit- und Gesellschaftskritik ist für die Jungavantgardisten dabei oberstes Gebot. So schräg und expressionistisch, wie dem heutigen Betrachter manches Szenenbild vorkommt, so maniriert wirkte es damals allerdings auch auf kopfschüttelnde Zeitgenossen. Etwa dem Kabarettisten Werner Finck, der die Badewannen-Shows laut einem in der Ausstellung nachzulesenden historischen Tagesspiegel-Artikel von Heinz Ohff – ziemlich lustig – als „neosurrealistischen Impotentialismus“ bezeichnet.

Kopf freidenken, Herz freitanzen

Trotzdem preist Finck die „gespeicherte Kraft eines beinahe wollüstig hingebungsfreudigen Publikums“, das nach dem irgendwo zwischen Dada und absurdem Theater anzusiedelnden Darbietungen in „hemmungslose Tänze“ ausbricht: „Eine tolle Atmosphäre. Vielleicht liegt da das Geheimnis der ,Badewanne‘. Und was bis dahin meine Marter war, wurde Montmartre.“ Ein Kabarett, ein Jazzkeller, ein Nachtklub – zum Kopf freidenken, Herz freitanzen, Stadt- und Kulturgeschichte werden.

Camaro-Haus, Potsdamer Str. 98A, Tiergarten, bis 24.7., Di–Sa 13-17 Uhr, Mi 13-20 Uhr, Katalog Nicolai-Verlag 24,95 €.

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