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Die Kleinen haben Angst. "Bella, Boss und Bulli" im Grips Theater Berlin.

© David Baltzer/ZENIT.

Berliner Kulturetat: Verachtung der Basis

Berlins Kulturetat soll kräftig steigen. Es gibt mehr Geld für fast alle. Allein die Kinder- und Jugendtheater gehen leer aus.

Morgen, Kinder, wird's was geben! Dies schöne Lied singt die Kulturpolitik. In den kommenden beiden Haushaltsjahren soll der Etat kräftig wachsen, um gut 10 Prozent. Nicht schlecht. Der Regierende Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller und sein Staatssekretär Tim Renner performen gutgelaunt ihre neue Rolle als Regenmacher. Millionen winken dem Friedrichstadtpalast wie den Philharmonikern, der Volksbühne wie dem Berliner Ensemble. Selbst die freie Szene soll, wenngleich bei Weitem nicht im geforderten Umfang, vom Geldsegen profitieren.

Freuen darf sich auch Wolfgang Stüßel. Der Leiter des Theaters Strahl, das seit Jahrzehnten in Berlin undogmatische, kluge Aufklärungsstücke für Jugendliche auf die Bühne bringt, ist im Haushaltsentwurf nicht vergessen worden. Zugedacht ist seinem Haus ein Plus von 4750 Euro. Der Inflationsausgleich in Höhe von einem Prozent seiner Zuschüsse.

Und das war’s. Wie bitte? Nicht anders sieht es beim Grips-Theater, bei Atze, oder dem Theater o.N aus. Die Kinder- und Jugendbühnen, die seit Jahren mit Grund einen "strukturellen Mehrbedarf" anmelden (Haushaltsdeutsch für prekäre Verhältnisse), gehen mal wieder leer aus. Die einen trifft die Gießkanne. Die anderen stehen im Regen und kriegen nicht mal den Tarifausgleich.

In einer Stellungnahme zum Haushaltsentwurf, die neben Grips, Strahl, Atze und Theater o.N. auch das Theater an der Parkaue mitverfasst hat, heißt es: "Die Ignoranz, auf die Unterfinanzierung der Kinder- und Jugendtheater nicht zu reagieren, können wir nur als politische Aussage werten: Kinder- und Jugendtheater hat für Berlin keinen Stellenwert". Schwer zu entkräften. Vor allem, wenn man sich anschaut, um welche Summen es geht.

Lediglich 150 000 Euro mehr pro Jahr fordert Grips-Geschäftsführer Volker Ludwig, der schon selbst ächzt: "Ich bin doch der bescheidenste Mensch der Welt." Auf die Briefe, die er seit Monaten an die Berliner Kulturpolitiker schickt, erhält er trotzdem keine Antwort. "Nur taube Ohren", sagt Ludwig resigniert.

Grips-Chef Volker Ludwig denkt über Entlassungen nach

Für dieses Jahr erwartet der Gründer des bekanntesten Kindertheaters der Welt ein Defizit von 100 000 Euro. Selbst im vergangenen Jahr, bei großartiger Auslastung, blieben am Hansaplatz 30 000 Euro Miese. Ludwigs Forderung zielt auf den nackten Existenzerhalt. "Ich bin drauf und dran, das Ensemble entlassen zu müssen", erklärt er. Natürlich könne man das Haus auch zum Musicaltheater umbauen und jeden Abend nur noch die gute alte "Linie 1" spielen. Aber das darf ja wohl nicht Lösung sein.

Zudem steht am Grips bekanntlich ein Intendanzwechsel an. Einige Schauspieler werden mit Stefan Fischer-Fels das Haus verlassen und müssen umbesetzt werden. Da kommen schon wieder Kosten in sechsstelliger Höhe zusammen. Ob selbstverschuldet oder nicht - anderswo in der Stadt werden Intendanzwechsel bekanntlich sehr großzügig alimentiert. Aber da geht's natürlich auch um kulturelle Prestigeprojekte. Tim Renners auf Hippness fixierter Horizont reicht offenbar nicht bis zur Arbeit für Kinder und Jugendliche. Ist weder Underground noch taugt es für den Livestream.

So sind mal wieder die Relationen aus den Fugen geraten. Das schürt Verteilungskämpfe, die nicht sein müssten. Wolfgang Stüßel braucht für sein Theater die vergleichsweise geringe Summe von 200 000 Euro mehr pro Jahr. Will er seine Schauspieler sozialversicherungspflichtig anstellen, steigt der Bedarf auf 270 000 Euro. Derzeit kann sich Strahl nicht mal eine volle Stelle für die Öffentlichkeitsarbeit, geschweige denn einen Dramaturgen leisten.

Das Theater o.N., das Pionier im Bereich der Kunst für die Jüngsten war und großartige Projekte mit Jugendlichen aus Hellersdorf auf die Beine stellt, wird sogar nur aus der Basisförderung subventioniert. Mit derzeit 70 000 Euro pro Jahr. Beantragt waren für 2016 rund 180 000 Euro. Auch das im Vergleich ein Kleckerbetrag. Und Thomas Sutter schließlich, Gründer des Musiktheaters Atze, kann einem klar und schlüssig auseinandersetzen, weshalb seine Forderung von 690 000 Euro mehr pro Jahr keineswegs überzogen ist. Dass im Musiktheater andere Kosten anfallen als im Schauspiel, versteht sich ohnehin von selbst.

"Wie wichtig ist uns kulturelle Bildung?", fragt Vera Strobel vom Theater o.N.

Fassungslosigkeit, Entsetzen, Enttäuschung - das sind die Vokabeln, die jetzt im Gespräch mit den Kinder- und Jugendtheatermachern fallen. Dazu kommt ja noch ein weiteres Problem: Auch der Jugendkulturservice, der im Auftrag des Senats für Bildung jeden Theaterbesuch der Berliner Kitas und Schulen mit 1,50 Euro pro Kind unterstützt, ist seit Langem viel zu gering ausgestattet. Am Ende des Jahres klaffen aufgrund der erfreulich hohen Zahl an Theaterbesuchen regelmäßig Deckungslücken. Auch daran zeigt sich der Umgang mit dem sogenannten "Publikum von morgen".

Vera Strobel, die Leiterin des Theaters o.N., fragt zu Recht: "Wie wichtig ist uns kulturelle Bildung? Was bedeutet uns die Teilhabe aller an der Kunst?" Die Fragen beantworten sich leider von selbst. Thomas Sutter bringt es auf den Punkt: "Die Ignoranz der Kulturpolitik spiegelt ja nur die tagtägliche Diskriminierung und Geringschätzung all derer, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten" – ob es sich um Erzieherinnen und Erzieher in der Kita und im Hort oder um Grundschullehrer handelt, es ist das gleiche Lied. Das zieht sich durch. Also: Morgen, Kinder, wird's nichts geben.

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