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Berliner Lesungen in der kommenden Woche: Instinktflaneure und Schachboxer

Helmut Kuhn im Literarischen Salon von Britta Gansebohm, Gabriele Riedle im Literaturhaus.

Endlich wieder ein Berlin-Roman. Also einer, in dem die Hauptfigur, wie es sich gehört, Flaneur genannt wird. Thomas Frantz (Franz wie Biberkopf) ist Schachboxer und „Flaneur aus Instinkt“, wie es in der Verlagsankündigung heißt. Ein freier Journalist ohne Aufträge, der sich auf sehr interessante Weise durchs Großstadtleben treiben lässt – von Kabbalisten zu schlaflosen Swingern, von demonstrierenden Prekarianern in die Wettbüros Neuköllns – und dabei kommentiert, was er so sieht: „Das Heer derer, die sich mit Diplom und Aushilfsjobs direkt in die internationalen Märkte hineinträumen und dabei in Streetart, Esoterik und Pecha-Kucha-Nächten einen Rest von Lebenssinn suchen.“ Außerdem recherchiert er die Geschichte der ehemaligen SED-Verwaltungszentrale, die zuvor Hauptquartier der Hitlerjugend und davor Kaufhaus jüdischer Geschäftsleute war und nun von Londoner Investoren in einen Society-Club und Wellnesstempel umgebaut wird. Helmut Kuhn, der bisher den Roman „Nordstern“ veröffentlichte, nimmt es in seinem zweiten Roman „Gehwegschäden“ also nicht nur mit Döblin (eh klar), sondern über eine „fragmentarische Ästhetik“ auch mit Robert Musil auf. Die, die es schon gelesen haben, sind begeistert. Am Donnerstag, den 8.3. liest er um 20 Uhr im Literarischen Salon von Britta Gansebohm (im BKA-Theater, Mehringdamm 34).

Armer Tschechow! Er muss nicht nur immer wieder als Qualitätsstempel für heutige Autoren herhalten („Alice Munro ist der Tschechow Kanadas!“ usw.), seine Figuren aus der ewigen Übergangsgesellschaft Ende des 19. Jahrhunderts werden auch gern als Referenzgrößen herangezogen, sobald das Schicksal einer „verlorenen Generation“ betrauert werden soll. In Gabriele Riedles neuem Roman „Überflüssige Gesellschaft“ arbeitet Hauptfigur Natalie an der Neuübertragung von Tschechows „Drei Schwestern“ und reflektiert dabei über verlorene Traditionen und korrumpierte Utopien, erinnert sich an die „Rettung“ von Kleinbürgerkindern in den siebziger Jahren durch Bildung, deren sozialer Aufstieg Anfang des 21. Jahrhundert aber schon wieder hinter ihnen liegt, weshalb sich Natalie und ihre Generationskollegen gar überflüssig wie „Menschen bei Tschechow“ fühlen (Donnerstag, 8.3., 20 Uhr im Literaturhaus, Fasanenstraße 23).

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