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Kultur: Berliner Literaturwerkstatt: Aus den Provinzen des Schmerzes

"Unsere Nummer war dreistellig, das heißt: ich kam vom Land", bekennt der gestrauchelte Held in Arnold Stadlers jüngstem Roman "Ein hinreissender Schrotthändler". Seine Frau Gabi, eine polyglotte Handchirurgin, meint sich für die Herkunft ihres Mannes schämen zu müssen.

"Unsere Nummer war dreistellig, das heißt: ich kam vom Land", bekennt der gestrauchelte Held in Arnold Stadlers jüngstem Roman "Ein hinreissender Schrotthändler". Seine Frau Gabi, eine polyglotte Handchirurgin, meint sich für die Herkunft ihres Mannes schämen zu müssen. Sie gibt den Heimartort Kreenheinstetten als Landsitzadresse am Bodensee aus.

Es ist die große Kreenheinstettener, die große hinterländische Passion, die Arnold Stadler, 1954 im südbadischen Meßkirch geboren, mit Hingabe zelebriert. Der ehemalige Priesterseminarist, Theologe und Germanist, Büchner-Preisträger des Jahres 1999, beschwört immer wieder die vergebliche Rückkehr zum katholischen Landleben und zugleich die süße Wehmut dieses Verlustes. Schreiben bedeutet für ihn im Sinne Montaignes die Vorbereitung auf den Tod. Seine oft vierschrötigen Helden mit ihren "roten Hotzenwäldergesichtern" tun sich schwer mit der Moderne. Sie sehnen sich danach, über Gott zu reden, ohne als altmodisch ausgelacht zu werden. Dieser Ton des fortwährenden "Hoffnungsschmerzes" macht Stadlers Prosa so persuasiv, für nicht-katholische Leser zuweilen auch auf fragwürdige Weise missionarisch.

Um so neugieriger durfte man auf die Begegnung Arnold Stadlers mit Per Olov Enquist in der Pankower Literaturwerkstatt sein: Oberschwäbischer Katholizismus trifft nordschwedischen Pietismus. Dieses Gegensatzpaar, von dem Konstanzer Germanisten Albrecht Koschorke ins Gespräch gebracht, eröffnete die Reihe "Schrift-Bekenntnisse". An drei Abenden geht es um die literarische Verarbeitung von Motiven der monotheistischen Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam.

Enquist, dessen historischer Roman "Der Besuch des Leibarztes" in diesem Frühjahr Furore macht, wurde 1934 in dem nordschwedischen Dorf Hjoggböle geboren. Er wuchs in einer radikalpietistischen Herrnhuter Gemeinde auf. Seit den sechziger Jahren gilt der Autor, Theater- und Literaturkritiker Enquist als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des kulturellen Lebens in Schweden. Ein Motto seines neuen Buches stammt von Kant: "Denn jeder Mensch ist berufen, selbst zu denken." Johann Friedrich Graf Struensee, der deutsche Leibarzt des als verrückt geltenden Dänenkönigs Christian VII., beherzigt diesen Satz, wird zum Aufklärer und bezahlt dafür mit dem Leben. 1772 lassen die Aufklärungsgegner Struensee, den Geliebten der Königin, hinrichten. Es herrscht die biblische Unerbittlichkeit der Gerechten. Per Olov Enquist beschreibt die Instrumentalisierung der Religion durch die Macht und deren gleichzeitige Ohnmacht: Zwar wurden Struensee Kopf und Hände abgeschlagen, doch seine Gedanken blieben im Volk lebendig. 1788, noch vor der Französischen Revolution, wurde in Dänemark die Leibeigenschaft abgeschafft.

Es saßen sich zwei Schriftsteller gegenüber, in deren Texten immer wieder Spuren des Religiösen aufscheinen oder dessen Verlust beklagt wird. "Als Protestant muss man direkt mit Gott sprechen, man hat ja sonst niemanden", brachte Arnold Stadler einen der konfessionellen Unterschiede auf den Punkt. Ohnehin verlief der Abend erfrischend unökumenisch: Während der Protestant Enquist auf die persönliche Verantwortung des einzelnen vor Gott und der Welt verwies, lobte sich Stadler die Heiligen als "gnädige Vermittler". Der Zorn, den Albrecht Koschorke aus Stadlers Psalmenvortrag herauszuhören glaubte, wollte dieser als Empörung verstanden wissen: Empörung und Staunen darüber, "dass ich da bin und einmal nicht mehr da sein werde". Diese Einsicht vereint alle Provinzen des Schmerzes.

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