zum Hauptinhalt
"Am Kupfergraben" von Manfred Pietsch

© Galerie Nierendorf

Berliner Maler in der Galerie Nierendorf: Die Vermessung der Stadt

Häuser, Brachen und Menschenbilder: Die vier Berliner Maler Manfred Butzmann, Günter Kokott, Sigurd Kuschnerus und Manfred Pietsch zu Gast in der Galerie Nierendorf.

Die aktuelle Ausstellung der Galerie Nierendorf zeigt vier Berliner Maler im Zenit ihres Schaffens: Manfred Butzmann, Günter Kokott, Sigurd Kuschnerus und Manfred Pietsch. Gemeinsam ist ihnen der Schwerpunkt Stadtlandschaften, erweitert mit Ausblicken in die nähere Umgebung und einigen figurativen Sujets, die sich mitunter vom Motto der Exposition abheben. Eine abwechslungsreiche Auswahl in der Tradition der Galerie, die vornehmlich Protagonisten der gegenständlichen Kunst, vom Expressionismus bis zur Gegenwart, vertritt.

Butzmann, ein dissidentischer Ostkünstler und zeitweise mit Druckverbot gestraft, passt mit seinen Gemälden, Grafiken, Illustrationen, Plakatentwürfen und Steinabreibungen in keine Schublade. Er ist mit Ölbildern der sechziger Jahre und späteren Aquarellen vertreten. Von demonstrativer Widersprüchlichkeit erzählt sein Bild „Berliner Straße, 30.4. – Mai 1965“. Der ungewöhnliche Titel weist auf den Vorabend des 1. Mai hin. Die Tristesse der Straße ist kaum zu überbieten, konterkariert wird sie durch übergroße, knallige Staatsflaggen an den Fassaden. Ein faszinierendes Bild (10 000 Euro). Noch krasser klagt „Vor der Kaserne“ an, die Butzmann als Gefängnis darstellt, mit der angeschnittenen Losung „... und Sozialismus !“ unter vergitterten Fenstern. Die Aquarelle hingegen zeigen Butzmann als Romantiker. „In Caputh“ gerät zur reinen Landschaftsträumerei, und selbst die kargen Motive des Hafens „Rostock“ oder „Berlin Mitte“ erzählen leise verborgene Geschichten.

Günter Kokott ist der expressivste der vier Künstler

Anders arbeitet Günter Rudolf Kokott. Seine Aquarelle und Öltempera sind oft mit Aquarellstift nachgezeichnet, sodass die farbkräftigen Bilder auch grafisch wirken. Er ist der expressivste unter den vier Künstlern. Kokott erkundet die Stadt wie ein Chronist, von Kreuzberg bis zur Jannowitzbrücke. Nach Öffnung der Berliner Mauer erschließt er sich den Ostteil: Gendarmenmarkt, Tacheles, eine Industriebrache. Zustand und Wandel interessieren ihn. In der dreiteiligen Folge „Letzter Rest“ (je 1000 Euro) dokumentiert er den Abriss des Palastes der Republik. In solcher Motivwahl gibt sich der Architekt zu erkennen, der einige Jahre als Stadtplaner tätig war.

Mit unübertrefflicher Präzision arbeitet Sigurd Kuschnerus an seinen Öl- und Temperawerken. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der legendären Galerie „zinke“ in Kreuzberg und ist Mitglied des Künstlersonderbundes „Realismus der Gegenwart“. Seine Straßenansichten erinnern an Konrad Knebel und Otto Nagel, aber auch sie sind genauer. Von beklemmender Trostlosigkeit „Wohnschlucht“ (16 000 Euro), die Kuschnerus durch eine beispiellose Detailversessenheit erreicht: Jeder Ziegelstein ist penibel gemalt. Ein Hyperrealismus, der nicht jedem zusagt, manchmal sogar befremdet, wie bei der vermutlich italienischen „Südlichen Stadt“, weil die künstlerische Überhöhung fehlt, die Sicht hinter die Ansicht.

Manfred Pietsch ist Polystilist mit Experimentierfreude

Im Porträt des Handwerkers am Schraubstock ist diese zweite Ebene vorhanden, auch im Porträt „Florian Karsch, Kunsthändler“ – auch wegen der Grille auf dem Ohrensessel, die man als Aperçu versteht, wenn man weiß, dass Karsch seine Dissertation über das Liebesleben der Gottesanbeterinnen schrieb.

Manfred Pietsch ist ein Polystilist mit eigensinniger Experimentierfreude. Was sofort sieht, wer das Gemälde „Unter den Linden“ (4000 Euro) oder sein Aquarell „Tucholskystraße“ (900 Euro) mit denen der achtziger Jahre vergleicht. Die Linden spätexpressionistisch, die Straße ein Nachklang der Neuen Sachlichkeit, die City-Ensembles mit strengem Bildaufbau etwas statisch. Letzteres erklärt sich aus seiner Sichtweise als Ingenieur. Dazwischen hängen jüngere Arbeiten, die wie eine Befreiung wirken – stimmungsvolle Stadtansichten, sanfter Farbauftrag, weiche Konturen. Wie er mit geringem Aufwand Wasserflächen zu malen versteht, ist erstaunlich.

Galerie Nierendorf, Hardenbergstr. 19, bis 3.3., Di–Sa 11–18 Uhr

Jens Grandt

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false