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Kultur: Berliner Opernlandschaft: Abfahrt

Ein Legalist ist ein Revolutionär, der sich die berühmte Bahnsteigkarte kauft und den ordentlichen Weg durch die Gesetze und Institutionen geht. Ähnliches gilt für den Berliner Kultursenator.

Ein Legalist ist ein Revolutionär, der sich die berühmte Bahnsteigkarte kauft und den ordentlichen Weg durch die Gesetze und Institutionen geht. Ähnliches gilt für den Berliner Kultursenator. Christoph Stölzl unternimmt, mit zehnjähriger Verspätung, den Versuch, die Selbstherrlichkeit der Intendanten nicht länger zu dulden und das Insel-Duell der Berliner Opernlandschaft zu beenden. Das ist, aus wirtschaftlichen und aus künstlerischen Gründen, absolut notwendig, jedoch unglaublich schwierig und langwierig. Weil es sich nicht mit Pulverdampf, nicht mit einem radikalen Federstrich ins Werk setzen lässt. Stölzl beschreibt in seinem Opernpapier neue Strukturen - und bleibt auf das vorhandene Führungspersonal angewiesen. Er muss seine Verfassungsreform in den parlamentarischen Ausschüssen behaupten; dort wurde bisher noch jeder gute oder auch nur gut gemeinte Reformvorschlag verwässert oder gestoppt. Stölzl fordert Solidarität, ermahnt die große Berliner Opernfamilie, in der jeder für den anderen verantwortlich sei: ein Appell gleichsam an das musikalische Nationalgefühl. Und wenn der Senator von der Opernfamilie spricht, dann denkt man an den berühmten ersten Satz der "Anna Karenina": "Alle glücklichen Familien gleichen einander, jeder unglückliche Familie ist auf ihre Weise unglücklich." Bei Tolstoi folgen nun Millionen Wörter. Bei Stölzl dürfte das Papier geduldiger sein, als es der Sache nützt. Das warnende Beispiel liefert das so genannte BerlinBallett. Darüber redet man seit Jahren, ohne Erfolg. In Stölzls Plänen hat es einen prominenten Platz, wenn es nicht sogar das Muster liefert: Die Opern-Ballette werden organisatorisch zusammengeführt, um sich stilistisch eigenständig zu entfalten. Mit der Ernennung des Generalbeauftragten Gerhard Brunner war man beim Tanz sogar schon einmal weiter, als man es jetzt bei den Opern ist. Die künftigen Berliner Opernbühnen sollen zeitgemäße Machtstrukturen bekommen, mit Vorstand und Aufsichtsrat. Die Berliner Opern müssen in der Realität dieser zerklüfteten Stadt ankommen. Ein weiter Weg. Die Bahnsteigkarte, wie gesagt, ist gelöst. Es kann nur sein, dass die Revolutionäre gar nicht aufspringen. Oder dass der Zug schon abgefahren ist.

Rüdiger Schaper

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