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Gastdirigent Christian Thielemann.

© Matthias Creutziger/Berliner Philharmoniker

Berliner Philharlmoniker: Halt auf freier Strecke

Christian Thielemann dirigiert Bruckners f-Moll-Messe in der Philharmonie.

Unerhört, dieser Schluss. Nach all den wuchtigen Klangquadern, all der monumentalen Herrlichkeit, dem katholischen Theaterdonner samt gleißenden Epiphanien, Anrufungen, Beschwörungen, Himmelserstürmungen und Höllenfahrten, nach diesem gewaltigen, sich immer wieder zu Unisono- und Forte-Apotheosen bündelnden Kraftakt von Bruckners f-Moll-Messe geht es am Ende zaghaft und leise noch einmal die vier Töne des Quart-Themas hinunter – und weiter nichts. Die Musik hängt in der Luft, zittert nach, Christian Thielemann - Musikchef der Berliner Semper-Oper - verharrt am Pult mit erhobener Hand: Halt auf freier Strecke. Dona nobis pacem, kein Friede auf Erden, kein Trommelwirbel, kein Ausrufezeichen, von denen Bruckner sonst reichlich untergebracht hat in seinem 1867/68 entstandenen Werk.

Thielemann und die Berliner Philharmoniker machen eine radikale Form- und Klangstudie daraus, eine archaisierende, strenge Tonarchitektur. Jeder Akkord eine Granitsäule. Im Kontrast zwischen den wuchtigen, raumgreifenden Tutti und den ätherischen, tastenden Adagio-Passagen betört das „Benedictus“ am meisten, mit kurzen verlorenen Instrumentalsoli und Streicherläufen, die sich im Nirgendwo verlieren. Vor der Uraufführung 1872 galt die Messe als unsingbar: Der makellos intonierende, die Extreme mühelos meisternde Berliner Rundfunkchor wird seinerseits zum fast abstrakten Klangkörper, der Gesang zum Orgelregister. In all dem Getümmel zwischen Lamento und Lobpreis haben die Solisten es nicht leicht. Anne Schwanewilms, Wiebke Lehmkuhl, Michael Schade und vor allem Franz-Josef Seligs mit natürlicher Autorität ausgestatteter Bass setzen der Messe dennoch kleine Glanzlichter auf.

Vor der Pause Sofia Gubaidulinas zweites Violinkonzert „In tempus praesens“. Nicht mit Anne-Sophie Mutter, der Uraufführungs-Solistin von 2007, sondern mit Gidon Kremer, dem Gubaidulina ihr erstes Violinkonzert von 1981 gewidmet hatte. Eine im Gegensatz zu Bruckner zerklüftete, flimmerige Komposition, mit einer unsteten, faserigen, in sauerstoffarme Höhen wegdriftenden Solostimme, von Kremer ein wenig angestrengt interpretiert. Gubaidulina verzichtet auf die hohen Streicher und verleiht den tiefen Lagen mitunter gewalttätige Züge, wenn das Orchester den Einzelgänger mit ostinaten Tuttischlägen bedroht. Tapferkeit vor dem Kollektiv ist eine seltene Tugend. (noch einmal an diesem Samstag, 19 Uhr, Restkarten)

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