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Die Neuerer: Chefdirigent Simon Rattle und Philharmoniker-Intendant Martin Hoffmann.

© dpa

Berliner Philharmoniker: Musik als Marke

Der neue Philharmoniker-Intendant Martin Hoffmann kommt aus der Wirtschaft: Warum das zum Geist des Orchesters passt.

Als die Berliner Philharmoniker vor einem Jahr bekannt gaben, der Fernsehproduzent Martin Hoffmann werde ab September 2010 die Intendanz des Orchesters übernehmen, ging ein Raunen durch die Klassikszene: Was ist denn das für eine Schnapsidee? Schadet die Berufung eines Mannes, der den Privatsender Sat 1 geleitet hat, der sein Geld mit Gerichtsshows, Quizsendungen und Unterhaltungsfilmen verdient, nicht dem Ansehen von Deutschlands Premium-Orchester?

Angesichts solcher Verstimmung lohnt sich ein Rückblick. Mit der Wahl eines Intendanten aus der Privatwirtschaft besinnen sich die Philharmoniker auf ihre Wurzeln. Bevor die Nationalsozialisten den Edelklangkörper ihrer Propagandamaschinerie einverleibten, hatte sich ein profitorientierter Impresario- Unternehmer um die finanziellen Belange des Orchesters gekümmert. Erst nach dem Krieg übernahmen Männer mit juristischem Staatsexamen den Intendantenposten. Still verrichteten sie im Schatten des übergroßen Herbert von Karajan ihre Arbeit – was sie nicht davor schützte, im Konfliktfall zwischen Maestro und Musikern zerrieben zu werden: Im Streit um die Klarinettistin Sabine Meyer war Intendant Peter Girth das erste Opfer. Ab 1989 pflegte Claudio Abbado zwar dezentere Umgangformen, der Intendant blieb dennoch weitgehend machtlos.

Franz Xaver Ohnesorg trat 2001 an, dies zu ändern, wollte nicht nur Grüßaugust, sondern großer Zampano sein – und wurde von den Musikern ruckzuck entsorgt. Drei lange Jahre stritt man in den Gremien des basisdemokratisch organisierten Ensembles, ob die Planstelle des Intendanten nicht überhaupt wegfallen könnte. Schließlich wählen sich die Musiker ihren Chefdirigenten selber und treffen gemeinsam mit ihm alle künstlerischen Entscheidungen. Wenn da nicht der organisatorische Ballast wäre …

In Pamela Rosenberg schien die Idealbesetzung gefunden zu sein. Die Amerikanerin wird in der Branche geschätzt und hatte in der goldenen Ära der Stuttgarter Oper als zweite Frau hinter Klaus Zehelein bewiesen, dass sie gut und gerne im Hintergrund zu agieren weiß. Allerdings entschied sie sich, mit Erreichen der Pensionsgrenze künftig wieder selbstständig arbeiten zu wollen. Und wieder setzen sich die Philharmoniker mit der Politik wegen der Nachfolgefrage zusammen.

„Wir wollten jemanden, der sich um die Vernetzung der Stiftung Berliner Philharmoniker, um Sponsoren, Vermarktung und Kontakte kümmert und gleichzeitig eine hohe künstlerische Kompetenz besitzt“, erklärte Berlins Staatssekretär André Schmitz im Juni 2009 – die Stadt finanziert das Orchester. Da sich jedoch keiner fand, der beides kann, votierten Chefdirigent Simon Rattle und die Musiker für eine mutige Variante: Martin Hoffmann. In der Hoffnung, dass der in der Medienbranche gestählte Manager das Orchester im 21. Jahrhundert voranbringen kann. Dabei geht es nicht um die Einschaltquote – die ist mit 95 Prozent Platzbelegung konstant fantastisch. Nein, es geht um Image und Kommunikation. Darum, dass die Welt erfährt, was für eine exzellente und gleichzeitig innovative Truppe die Philharmoniker sind. Der Generationswechsel ist abgeschlossen, junge Gesichter prägen das Erscheinungsbild. Frische Ideen, die Simon Rattle aus dem englischsprachigen Raum mitgebracht hat, wurden implementiert. Was die ästhetische Vielfalt bei der Werkauswahl wie bei den Gastdirigenten angeht, sind die Philharmoniker optimal aufgestellt. Jetzt geht es darum, dass auch möglichst viele Menschen davon erfahren.

„Markenbildung“ heißt das in der Privatwirtschaft. Je herausgehobener eine Marke, desto attraktiver erscheint sie. Haute Couture von Prada können sich nur wenige leisten – aber deren Ansehen ist so hoch, dass das Modelabel jede Menge Geld mit Nebenprodukten verdient, mit Parfums, Sonnenbrillen, Gürteln und anderen Accessoires. Neben den Eintrittskarten für ihre Live-Auftritte haben auch die Berliner Philharmoniker einiges im Portfolio: CDs und DVDs, Merchandising-Artikel vom Kugelschreiber bis zur Umhängetasche sowie die „Digital Concert Hall“, eine weltweit einmalige Internetplattform, auf der man gegen Gebühr Auftritte des Orchesters am Computerbildschirm miterleben sowie im Archiv stöbern kann. Wichtig sind dem Orchester zudem regelmäßige TV-Übertragungen der Silvester-, Waldbühnen- sowie Europakonzerte. Dann sitzen jedes Mal mehr Leute vor dem Bildschirm, als die Philharmoniker in einer ganzen Saison mit ihren Auftritten erreichen können.

Da passt es gut, dass der Branchenkenner Martin Hoffmann selber die attraktivste Zielgruppe des Klassikpublikums repräsentiert. Die Stammgäste bleiben zwar immer länger fit, ziehen aber den Altersdurchschnitt nach oben. Junge Menschen sind leicht zu begeistern, lassen sich durch andere Freizeitangebote aber schnell wieder weglocken und geben wenig Geld aus. Als Zuhörer besonders begehrenswert sind dagegen Leute wie Hoffmann. Der designierte Intendant ist mit 50 Jahren in jenem Alter, in dem man sich familiär wie beruflich so weit vorgekämpft hat, dass zeitintensive Abendvergnügungen wieder möglich sind. Er ist finanziell gut situiert und hat einen bildungsbürgerlichen Hintergrund, trotz des Jobs in den modernen Medien. Gelingt es ihm, seinesgleichen für die Philharmoniker zu begeistern, hat er seine Mission schon fast erfüllt.

Martin Hoffmann wird 1959 in Nußloch bei Heidelberg geboren, beginnt früh mit dem Geigenunterricht, paukt Latein und Griechisch am humanistischen Gymnasium, studiert dann Rechtswissenschaften, arbeitet kurzzeitig in Hamburg als Rechtsanwalt, bevor er 1994 bei Sat 1 einsteigt, wo er sich binnen sechs Jahren zum Programmgeschäftsführer hocharbeitet. Als der Sender 2003 verkauft wird, wechselt er als Vorstandsvorsitzender zur Produktionsfirma „Me, Myself and Eye“, die TV-Sender mit allen nur erdenklichen Sendeformaten versorgt, von Seifenopern bis zum Münster-„Tatort“.

Hoffmann ist ein umgänglicher Zeitgenosse, der trotz seiner rasanten Karriere uneitel wirkt, zuhören kann und die Gabe der Selbstironie besitzt. Beim „Kulturkreis der deutschen Wirtschaft“ stellt er sich als Festredner mit den Worten vor: „Privatfernsehen, Sie wissen es, ist das Gegenteil von Kultur. Bei Bach kann ich an Dirk denken und bei der Kunst der Fuge an diese Renovierungssendungen auf RTL.“ Dann geißelt er die Tendenz der Öffentlich-Rechtlichen, Kultur „in das ,Arte‘-Reservat“ zu stecken, und regt die Wiederbelebung der legendären Rateshow „Erkennen Sie die Melodie?“ an. „Wir müssen unser Kulturverständnis nicht nur vor zu viel elitärem Dünkel retten“, ruft er, „sondern auch vor einer haltlosen Vermassung.“

Darum beobachtet Martin Hoffmann derzeit genau, was gegenüber der Philharmonie auf dem Kulturforum passiert. Dort hat Udo Kittelmann in der Neuen Nationalgalerie das Konzept der ständigen Sammlung überdacht und die Bilder so klug neu gehängt, dass die Leute jetzt wieder vor dem Museum Schlange stehen. Auch das Repertoire der Philharmoniker besteht weitgehend aus bekannten Werken. Kann man sie so präsentieren, dass sie in neuem Licht erscheinen – ohne sie in ihrer Substanz anzugreifen?

Über seine Ideen für die kommenden fünf Intendantenjahre redet Martin Hoffmann derzeit allerdings nur mit den Musikern. Vor deren Willen zur Exzellenz hat er Respekt, auch vor ihrem grenzenlosen Selbstbewusstsein. Bis zum Eröffnungskonzert der Saison 2010/11 hat er sich öffentliches Stillschweigen verordnet, will erst einmal intern sondieren und verstehen, wie der Organismus Berliner Philharmoniker funktioniert. Dass der Neue aus einer anderen Welt kommt, kann dabei hilfreich sein. Aber auch tödlich.

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