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Mein Körper gehört mir. Teilnehmerinnen des ersten Berliner Slutwalks im vergangenen Jahr.

© picture alliance / dpa

Berliner Slutwalk: Schlampenfieber

Am Samstag startet der zweite Berliner Slutwalk gegen die Verharmlosung sexualisierter Gewalt. Die Organisatorinnen Jule Dunemann und Julia Kist im Gespräch.

Bei der Slutwalk-Soliparty haben sich Gäste aufgeregt, weil Ihnen am Einlass „Slut“ („Schlampe“) auf die Hand gestempelt wurde. Warum so plakativ?

JULE DUNEMANN: Das mit dem Stempel war ein Fehler! Wir sind wohl davon ausgegangen, dass den Besucherinnen und Besuchern unsere ironisierende Verwendung des Wortes ohnehin bewusst ist. Es geht darum, sich mit Menschen, die als „Slut“ bezeichnet werden, zu solidarisieren – und dem Begriff somit seine abwertende Bedeutung zu nehmen! Es geht nicht um eine Selbstbezeichnung als Schlampe oder um eine Affirmation des Begriffs.

JULIA KIST: Da wir uns in Berlin in der Tradition der weltweiten Slutwalks sehen, wollten wir keine Namensänderung beschließen, ohne dies mit den anderen Slutwalks gemeinschaftlich zu diskutieren. Damit keine Missverständnisse entstehen, haben wir in Berlin uns dieses Jahr für den Untertitel „Gegen Verharmlosung von sexualisierter Gewalt. Für Selbstbestimmung“ entschieden. Wir wollen darauf hinweisen, dass es um ein strukturelles gesellschaftliches Problem geht – um eine Vergewaltigungskultur. Der Slutwalk 2011 wurde ja dadurch ausgelöst, dass ein Polizist in Toronto Frauen den Tipp gegeben hat, dass sie sich „nicht wie Schlampen anziehen sollten, wenn sie nicht vergewaltigt werden wollen“ ...

Weshalb viele Teilnehmerinnen der Demo im letzten Jahr sich bewusst aufreizend gekleidet haben. Ist das ein Muss?

DUNEMANN: Natürlich können sich alle so kleiden, wie sie wollen. Und wenn Leute mit Minirock demonstrieren, dann tun sie das ja nicht nur, um „sexy“ auszusehen, sondern auch, um dem Schild in ihrer Hand Nachdruck zu verleihen: Mein kurzer Rock bedeutet nicht, dass du mich vergewaltigen kannst. Man darf die Bilder nicht von ihren Transparenten, Plakaten und Körperbeschriftungen trennen, die sie konterkarieren. Diese Verbindung führt ja vor, was in dieser Gesellschaft schief läuft. Wir können leider nicht beeinflussen, wenn die Medien gerne Bilder von nackter Haut veröffentlichen. Wir können sie nur immer wieder darauf hinweisen, dass der Slutwalk sich genau gegen diese Pornografisierung der Gesellschaft richtet, die die Presse dazu bringt, so gerne Bilder von nackter Haut zu veröffentlichen.

Was sagen Sie zu Vorwürfen, in denen der Slutwalk als eine Veranstaltung für weiße, heterosexuelle Spaßfeministinnen bezeichnet wurde?

DUNEMANN: Was wir anprangern, ist ein Verbrechen! Und gerade bei sexualisierter Gewalt wird Frauen ja auch häufig eine gewisse Mitschuld gegeben: Du hast einen kurzen Rock getragen? Na, dann bist du auch ein bisschen selbst schuld. Das ist überhaupt nicht spaßig.

KIST: In der heutigen neoliberalen Arbeitswelt noch so unbeschwert mit Formulierungen wie „Mittelschicht“ als Vorwurf zu hantieren, steht in einem schrägen Verhältnis zu den tatsächlichen Verhältnissen, in denen Frauen sich befinden, wenn sie etwa in typisch weiblichen Minijobs unterdrückt werden. Zu „heterosexuell“: Viele von uns verorten sich in der queer-feministischen Szene. Und in unseren Statements wird deutlich, dass der Slutwalk einen queer-feministischen Anspruch hat.

Warum benutzen Sie den Begriff „sexualisierte“ anstatt „sexuelle“ Gewalt?

KIST: Um die „Gewalterfahrung“ zu betonen. Die „Sexualität“ wird aus Sicht der Betroffenen eher als Mittel erlebt, um die Gewalt auszuleben. Das Adjektiv „sexuell“ ist missverständlich, da es impliziert, dass der gesamte Vorgang von „Sex“ handelt. „Sexuelle Gewalt“ verbindet man überdies eher mit sexuellen Übergriffen, wie etwa einer Vergewaltigung. „Sexualisierte Gewalt“ dagegen bedeutet auch, auf der Straße angemacht zu werden. Der Begriff ist variabler, denn meine Grenze für Dinge, die nicht okay sind, ist vielleicht eine andere als Ihre. Beide wollen wir im Slutwalk beachten und sagen: Wir sind gegen die Verharmlosung jeder Form von sexualisierter Gewalt.

Beim ersten Slutwalk fühlten sich einige der Demonstrantinnen und Demonstranten von Spannern belästigt. Werden Sie in diesem Jahr etwas anders organisieren?

KIST: Wir stellen gerade ein sogenanntes Awareness-Team zusammen. Das sind Leute, die für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Kontaktpersonen da sind, wenn mal etwas schiefgeht. Wir werden die Demonstrierenden darauf hinweisen, dass sie sich an dieses Team und unsere Ordnerinnen wenden können, sobald sie sich bedrängt fühlen. Außerdem werden wir zu Solidarität, Aufmerksamkeit und Kreativität aufrufen. Wir werden der Presse mitteilen, dass es einen Bereich gibt, wo die Leute laufen, die nichts gegen Fotos haben, aber auch einen „No Foto“-Bereich einrichten. Uns ist es wichtig, dass alle sich beim Slutwalk wohl und sicher fühlen.

Die Demo war ursprünglich für August geplant. Warum wurde sie verschoben?

DUNEMANN: An dem Veranstaltungstag gab es schon die Anti-Pro-Deutschland-Demo und da wollten viele von uns dabei sein. Der Hauptgrund war aber, dass es bei unserer Soliparty im Juli, wo wir Geld für die Durchführung des Slutwalks sammelten, sexistische Beleidigungen und sexualisierte Gewalt gab. Das ist traurig und tut uns sehr leid. Da wollten wir im Anschluss ein gutes Sicherheitskonzept entwickeln, damit sich alle wohlfühlen können. Wir dachten uns: lieber später, ein bisschen kälter, dafür aber besser organisiert!

Das Gespräch führte Katrin Gottschalk. Am Samstag, 15.9., beginnt die Demonstration um 14 Uhr am Pariser Platz.

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