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Regula Lüscher vor der Staatsopernbaustelle.

© Thilo Rückeis

Berliner Staatsoper: Schicht am Ende des Tunnels

Die Sanierung der Berliner Staatsoper wird 93 Millionen Euro teurer. Jetzt nannte Senatsbaudirektorin Regula Lüscher eine Gesamtsummer von 389 Millionen Euro. Erst im Herbst 2017 kann die erste Premiere über die Bühne gehen.

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„Gerüst gesperrt“ steht an der schmalen Treppe, die hinauf führt zum Bühnenhaus. Man darf trotzdem durch, denn heute findet auf der Staatsopernbaustelle eine „presseöffentliche Führung“ für die Mitglieder des Bauausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus statt. In gelben Gummistiefeln und mit Helmen auf dem Kopf stapfen Parlamentarier und Journalisten übers Gelände – und sind froh, bei diesen Temperaturen nicht zu den Handwerkern zu gehören, die hier lautstark malochen.

Eigentlich hatte sich Senatsbaudirektorin Regula Lüscher vorgenommen, mit den neuerlichen Hiobsbotschaften erst herauszurücken, nachdem die Volksvertreter die Fortschritte Unter den Linden persönlich in Augenschein nehmen konnten. Doch die Horrorzahl sickerte schon vorher durch: 93 Millionen Euro teurer wird das Vorhaben, auf 389 Millionen Euro summieren sich nun die Kosten. Und die erste Opernvorstellung wird erst im Herbst 2017 über die Bühne gehen können. Also nicht nach drei Jahren Sanierungszeit wie zunächst angekündigt, auch nicht nach fünf Jahren, wie dann korrigiert. Sondern erst nach sieben Jahren.

Immerhin kann Regula Lüscher Staatsopernmaestro Daniel Barenboim und seinem Intendanten Jürgen Flimm eine etappenweise Übergabe anbieten: Das hinter der Oper befindliche Intendanzgebäude samt neuem Probenzentrum und unterirdischem Transporttunnel für die Bühnenbilder soll bis zum Frühjahr 2016 fertig sein. Ab dem Sommer 2016 soll dann Schritt für Schritt eine Erprobungsphase für das technische und künstlerische Personal anlaufen. Im Frühjahr 2017 will man die Arbeiten auch im Opernhaus abgeschlossen haben, so dass die traditionelle Saisoneröffnung am 3. Oktober stattfinden kann – hoffentlich.

Wäre das zeitliche Szenario nicht schon bekannt, man würde es beim Anblick der in vielerlei Hinsicht doch erstaunlich weit gediehenen Baustelle kaum glauben wollen. Im Probenzentrum sehen die Abgeordneten staunend, wie die gigantische Hubplattform, die komplette Bühnenbilder aufnehmen kann, 6,50 Meter nach unten gefahren wird, bis auf die Ebene jenes Tunnels, der nun auch schon zur Hälfte gedeckelt ist. Am Opernhaus selbst wurde der Durchbruch für den Tunnel geschlagen, seit wenigen Tagen ist auch endlich der Bühnenturm dicht, mit 20 Monaten Verspätung.

Eine riesige, blau leuchtende „Krahnbahn“, die aussieht wie von einem Containerhafen entliehen, führt von der Bebelplatzseite ins Inneres des Bühnenhauses: Mit ihr können die bis zu zehn Tonnen schweren Elemente der Unterbühne eingebaut werden, sobald die Rohbauarbeiten abgeschlossen sind. Und im Garderobentrakt liegt schon wieder das alte, schwarz-weiß gemusterte Steinfliesenornament auf dem Boden, frisch überarbeitet, bereit fürs finale Verfugen.

Die nötigen Betonsanierungsmaßnahmen haben sich verzehnfacht.

Auf der folgenden Bauausschusssitzung erfahren die Abgeordneten en detail, warum das im Pressematerial „Bereit für die nächsten 100 Jahre in der Spitzenliga der Opernhäuser“ genannte Projekt noch einmal so viel teurer und zeitaufwändiger geworden ist. Da wäre zum einen die Bausubstanz, die sich erst während des Sanierungsprozesses als deutlich maroder herausstellte als angenommen. Die notwendigen Betonsanierungsarbeiten haben sich verzehnfacht, die Schweißarbeiten verdoppelt, 1400 Quadratmeter Mauerwerk mussten abgebrochen werden und nicht 750 Quadratmeter wie prognostiziert. Zum anderen sind da aber auch total verrückte Forderungen des Denkmalschutzes. Sogar im Bühnenhaus, das nichts mit dem Original von 1743 zu tun hat, weil es diverse Male erweitert wurde, um den jeweiligen Anforderungen der Inszenierungsmoden gerecht zu werden – sogar hier wird um jeden historischen Stein gerungen. Um aus der bislang viel zu kleinen Hinterbühne eine zu machen, die den Maßen der Hauptbühne entspricht, sollte eine Rückwand entfernt werden. Weil die aber mehrere Obergeschosse trägt, mussten seitlich neue Treppentürme errichtet werden, über die man anschließend eine gigantische Stahlkonstruktion legte, an der künftig die oberen Stockwerke hängen. Um diese relativ kleine Veränderung „im Bestand“ realisieren zu können, waren allein 46 verschiedene „Bauhilfsmaßnahmen“ nötig, damit die maroden Mauern nicht zusammenklappen. Eine pragmatische Abriss- und Neubaulösung hätte nicht nur Zeit und Ingenieursnerven gespart, sondern auch jede Menge Geld.

Blick in den Zuschauerraum.
Blick in den Zuschauerraum.

© Thilo Rückeis

Drei „Meilensteine“ sollten erreicht sein, hatte Regula Lüscher gesagt, bevor sie einen definitiven Eröffnungstermin verkünden würde: ein dichtes Dach über dem Zuschauerhaus, ein ebensolches über dem Bühnenturm und der Einbau der Bühnentechnik. Letzterer hat zwar gerade erst begonnen, doch weil die Fertigstellungstermine vertraglich mit den Baufirmen fixiert sind, konnte sich die Senatsbaudirektorin jetzt endlich festlegen.

Was die Kostensteigerung betrifft, so soll es definitiv die letzte sein, die der Senat verkünden will. Der stellvertretende Vorsitzende des Bauausschusses im Abgeordnetenhaus, Daniel Buchholz (SPD), konnte sich eine süffisante Bemerkung nicht verkneifen: „Jeder Besuch, den der Ausschuss auf der Baustelle macht, kostet 100 Millionen Euro“.

Das ist ein wenig übertrieben, aber im Grundsatz richtig. Als sich der Bund 2007 im Hauptstadtfinanzierungsvertrag bereit erklärte, die Sanierung der Staatsoper mitzufinanzieren, wurden die Gesamtkosten noch auf 239 Millionen Euro geschätzt, von denen der Bund 200 Millionen Euro als Festbetrag übernehmen wollte. Dabei bleibt es auch. Alles, was darüber liegt, muss das Land Berlin bezahlen. Eine Belastung, die allmählich bedrohliche Züge annimmt. Im Mai 2014 korrigierte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Ausgaben auf 296 Millionen Euro. Jetzt werden also noch einmal 93 Millionen Euro draufgelegt.

Der Bund gibt 200 Millionen dazu. Basta.

Im Frühjahr wurde die Kostenexplosion mit „unvorhersehbaren und unabwendbaren Baustörungen“, mit einer verlängerten Bauzeit und „Bedarfsanpassungen“ begründet. Und die Senatsbaudirektorin kündigte vor einem halben Jahr im Bauausschuss des Parlaments bereits an, dass zum Jahresende der Fertigstellungstermin und eine verbindliche Kostenprognose bekanntgegeben würden. Insofern hielt sie Wort. Für die Haushaltsexperten der rot-schwarzen Koalition kam dies angeblich nicht überraschend. Seit drei Wochen, so hieß es, „pfiffen die Spatzen von den Dächern“, jedenfalls intern, dass die Sanierung noch einmal deutlich teurer werde. „Uns war das klar, das kam nicht wirklich überraschend“, sagte auch der CDU-Finanzexperte Christian Goiny.

Die verantwortlichen Senatsbehörden für Stadtentwicklung und Kultur werden sich warm anziehen müssen. „Wir erwarten eine gründliche Berichterstattung“, kündigte der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Torsten Schneider an. „Das wichtige Vorhaben gerät nun unter Druck.“ Denn eines sei klar, sagte der christdemokratische Baupolitiker Matthias Brauner: „Wir müssen die Oper zuende bauen.“ Mit nunmehr fast 200 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt. Bisher ist diese beträchtliche Summe nicht eingeplant.

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