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Stadtschloss

© Steinert

Berliner Stadtschloss: Wie original sind Rekonstruktionen?

Der Wiederaufbau als Generationenprojekt: Die Rekonstruktion der Fassaden des Berliner Stadtschlosses könnte länger dauern als gedacht. Restauratoren und Experten vertreten unterschiedliche Meinungen.

Zwei Bilder, zwei Simulationen, zwei grundverschiedene Ansichten der Zukunft. Beide zeigen die barocken Fassaden des Berliner Schlosses, wie sie aussehen könnten nach ihrer Rekonstruktion - voraussichtlich im Jahr 2015.

In der 55. Auflage der Werbebroschüre "Berliner Extrablatt" vom September ruft Wilhelm von Boddiens Förderverein Berliner Schloss ein Fassadenidyll auf: Blumenrabatten und ausgewachsene Bäume vor weißgelber Säulenpracht. Darunter wirbt Bundespräsident Horst Köhler für das Projekt: "Ich freue mich!" Auf medienkritische Zeitgenossen wirkt sowas eher peinlich. Auf der von Schlosskritikern um den Berliner Architekten Philipp Oswalt betriebenen Internetseite www.schlossdebatte.de werden ganz andere Stimmungswerte suggeriert. Unter dem Titel "Instant Barock? Das Schloss 2015" erinnert das computersimulierte Humboldt-Forum eher an eine schmucklose Großkaserne als an Schlüters kunstvoll-dreidimensionale Prachtarchitektur. Säulen, Kapitelle, Balustraden, Adlerfries, Wappenkartuschen, kurz: Alle bildhauerisch relevanten Teile der Fassade fehlen.

"Die Tradition der Steinbildhauerei", heißt es im Text, "ist fast verschwunden." Deshalb werde die Rekonstruktion aller aus Sandstein gefertigten Bauglieder "anders als behauptet Jahrzehnte" dauern und die Fassaden 2015 "erst mal etwas nackt aussehen". Oswalt beruft sich auf Andreas Hoferick, einen fachlich äußerst versierten Berliner Steinbildhauer. Hoferick hatte bereits im Juni behauptet, dass in Deutschland nicht genügend qualifizierte Steinbildhauer und Steinmetze zur Verfügung stünden, um die Schlossfassaden wie geplant bis 2015 fertigzustellen.

Kurzatmige glauben vorschnell ans Scheitern

In den Tagen vor der Jurysitzung des Architekturwettbewerbs zum Humboldt-Forum wird ein Schreckbild lanciert, die Angst vor der Bauruine. Es verkennt, dass das Humboldt-Forum in der äußeren Gestalt des Berliner Schlosses, 2002 vom Bundestag beschlossen und 2007 bekräftigt, unabhängig vom Tempo seiner Errichtung ein Symbolbau sein wird. Letztlich sollte es einzig um die Qualität der zu rekonstruierenden Fassaden gehen. Wer darin ein Jahrhundertprojekt sieht, wird sich von ein paar Jahren Bauzeit mehr oder weniger nicht abschrecken lassen.

Kurzatmige glauben jedoch lieber vorschnell ans Scheitern. Oder versprechen, wie Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee, die Fertigstellung in einer Wahlperiode. Die aktuellen Kritiker des Schlossprojekts zitieren jedenfalls gerne aus dem bislang unbeachteten Hoferick-Interview. Dabei verschweigt man Hofericks durchaus nicht ablehnendes Resümee der Fassadenrekonstruktion. "Ich finde", so der erfahrene Handwerker, "das ist etwas für Generationen."

So viel Zeit hat Carlo Wloch nicht. Der von der Pike auf gelernte Steinbildhauer und Restaurator, Jahrgang 1948, selbstständig in Pankow seit Mitte der achtziger Jahre tätig, koordiniert seit 2003 im Auftrag des Fördervereins die Nachbildung der Fassadenteile aus Sandstein. Wloch hat für Künstler wie Fritz Cremer und Werner Stötzer gearbeitet und war in den Siebzigern am Bau des Palasts der Republik beteiligt. Seine erste Schloss-Hausaufgabe bestand darin, zusammen mit dem Bildhauer Matthias Körner eine Musterachse der Schlüterfassade im Maßstab eins zu eins in Gips nachzumodellieren: 32 Meter hoch, sechs Meter breit.

Die Zahl der Berliner Lehrlinge steigt

Eine vorbereitende Maßnahme, finanziert aus Spendengeldern. Andere Steinmetze und Bildhauer werden künftig von Wlochs Gipsteilen exakte handwerkliche Kopien in Sandstein fertigen, die das erwünschte individuelle Finish aufweisen. Eine erkennbare Eigenart, die möglichst wenig in der Sprache unserer Zeit spricht. "Preußischen Barock", nennt es Wloch, den sich die Kollegen in Dresden und andernorts aneignen könnten. Die anspruchsvolleren Teile der Musterachse stehen derzeit im Informationszentrum des Schlossbauvereins am Hausvogteiplatz, um Spender zu locken. Für Wloch steht fest: Man kann und muss das Schloss so exakt wie möglich nachbauen - gerne auch mit der vorbarocken Spreefassade.

Hofericks Behauptung über den Mangel an qualifizierten Fachkräften treibt Wloch den Ärger ins Gesicht. Schließlich setzt er sich als Lehrlingswart der Berliner Steinmetz- und Steinbildhauer-Innung für den Nachwuchs ein. Dank einer EU-geförderten Ausbildung im Spandauer Fort Hahneberg stieg die Zahl der Berliner Lehrlinge von jährlich fünf oder sechs auf insgesamt 52, die im September 2008 mit der Ausbildung begonnen haben. Wloch ist sich sicher: Wenn man junge Steinmetze in drei Jahren Lehrzeit zielgerichtet auf die handwerklichen Herausforderungen der Schlossfassadenrekonstruktion vorbereitet, können die das auch. Und eben nicht nur Grabsteine polieren oder Gehwegplatten verlegen.

Als Jungbrunnen für ein Jahrtausende altes Handwerk versteht auch Barbara Schock-Werner das Humboldt-Forum. Die Chefin der Kölner Dombauhütte, in der derzeit über 30 Steinmetze arbeiten, ist es gewohnt, in historischen Dimensionen zu denken. Und gibt doch Entwarnung für den Augenblick: "Wenn man in ganz Deutschland und vielleicht noch in Tschechien und Polen nach qualifizierten Firmen sucht, bekommt man genügend geeignete Leute zusammen. Man darf bei der Ausschreibung nur nicht die Billigsten nehmen." Auf den Index gehören außerdem natürlich solche Firmen, die Schlüter aus Kostengründen in Beton nachgießen wollen.

Das Berliner Schloss bietet eine einmalige Chance

Auch Kathrin Lange, Leiterin des Fachbereichs Skulpturenrestaurierung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten in Potsdam, weist auf die Notwendigkeit von Qualitätssicherung und Baubetreuung hin. Für die Schlösserverwaltung arbeitet ein fester Stamm von Steinrestauratoren, mit denen jedes Projekt gemeinsam entwickelt, diskutiert und verwirklicht wird. Etwa die großen französischen Parkskulpturen in Sanssouci, die derzeit durch Marmorkopien ersetzt werden. Die kostbaren Originale landen im Depot.

Das Kopieren oder teilweise Ergänzen beschädigter Substanz ist üblich in der Denkmalpflegepraxis. An den Außenfassaden des Kölner Doms dürfte kaum ein Stein nicht ersetzt, ergänzt oder überarbeitet sein. Architektur-Inkunabeln wie die Würzburger Residenz oder das Freiburger Münster wurden nach schweren Kriegsschäden wiederaufgebaut. Das betrifft übrigens auch kostbare Innenräume in Schlössern und Kirchen. Die Wiederherstellungsarbeiten in der Münchner Residenz haben Jahrzehnte gedauert. Neben Bildhauern waren dort Stuckateure, Kunst- und Dekorationsmaler, Holzschnitzer, Parkettleger und viele andere angeblich ausgestorbene Gewerke tätig. In diesem Sinne sind auch seriöse Rekonstruktionsvorhaben ein Stück Baukultur.

Es ist sicher kein Zufall, dass die beiden größten Kenner des Berliner Schlosses, die Kunsthistoriker Goerd Peschken und Guido Hinterkeuser, Jahrgang 1931 der eine, 1967 der andere, vehement für die Rekonstruktion ganzer Raumfolgen eintreten. Wie deplatziert seriös rekonstruierte Fassaden vor lieblos-modernem Innenleben wirken können, zeigen die ehemalige Berliner Kommandantur oder das als Einkaufszentrum teilrekonstruierte Braunschweiger Schloss. Über die vor vier Jahren eröffnete Bertelsmann-Repräsentanz Unter den Linden befand selbst Ex-Senatsbaudirektor Hans Stimmann, dass historische Anmutung außen und "hochgezogene Teppichbodenkante" innen nicht recht zusammenpassen.

Bei den zu rekonstruierenden Teilen des Berliner Schlosses besteht 60 Jahre nach dem Abriss der Ruine die einmalige Chance, auf der Basis von zufälligen Überresten und mittlerweile akribisch ausgewerteten Planunterlagen etwas Neues entstehen zu lassen. Rekonstruktion ist dabei nur ein Weg. Ihn technisch und handwerklich zu beschreiten, ist möglich. Wenn man sich dafür entscheidet, dann ohne Kompromisse.

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