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Szene aus „Die Vernichtung“ von Ersan Mondtag, das zum Ende des Theatertreffens im Haus der Berliner Festspiele läuft.

© Birgit Hupfeld

Berliner Theaterregisseur Ersan Mondtag: „Ich würde gern die Schaubühne übernehmen“

Selbstbewusst zum Theatertreffen: Der junge Berliner Theaterregisseur Ersan Mondtag über die bedrohte Demokratie, den eitlen Theaterbetrieb und seine Karrierepläne.

Herr Mondtag, die Inszenierung, mit der Sie zum Theatertreffen eingeladen sind, heißt „Die Vernichtung“. Wer oder was wird da liquidiert?

Unsere Demokratie. Und zwar durch uns selbst.

Inwiefern?

Die Autorin Olga Bach, die Schauspieler und ich wollten ein Stück über Terrorismus machen. Als wir anfingen, uns historisch mit dem Thema auseinanderzusetzen und mit Dschihadismus, IRA, RAF und so weiter zu beschäftigen, wurde uns relativ schnell klar, dass es viel spannender ist darüber nachzudenken, wie diese Strukturen in uns selbst veranlagt sind. Wir haben vier Typen gebaut: den Psychologen, die bürgerliche Humanistin, den linken Verschwörungstheoretiker und den Fremden mit dem Außenblick. Das sind vier verschiedene Standpunkte. Aber in einer Hinsicht sind sie sich alle ähnlich: Sie drehen sich nur um sich selbst.

Und flirten zusehends mit faschistoiden Gedanken.

Genau, aus so einer Alltäglichkeit heraus. Der Text ist tatsächlich aus unserer eigenen Realität abgeleitet: Das sind Gespräche, die wir in verschiedenen Formen selbst geführt haben oder die man auch in Berliner Clubs hört. Wenn zum Beispiel jemand anfängt, sich über einen Kellner zu echauffieren, immer mehr in so einen Aufregungsgestus kommt und dann irgendwann sagt: Was denkt der sich eigentlich, das ist doch einfach nur ein schäbiger Kellner, im Grunde müsste man den vernichten! Das ist krasse Gewalt, die dort formuliert wird.

Sie verorten diese verbal gewaltbereiten Figuren in einem blühenden Garten Eden mit Narziss-Statue.

Das war unsere größte Erkenntnis: Dass man sich eigentlich nur noch aus einem narzisstischen Impuls heraus mit der Welt und ihren Konflikten beschäftigt und dass dieser Narzissmus ein Motor der Vernichtung unserer hochkultivierten Demokratie ist. Es geht nicht mehr um die Sache selbst, sondern nur noch darum, dass ich zu ihr eine Haltung habe, die mich als Angehörigen einer bestimmten Meinungsgruppierung definiert und dadurch in meiner Person aufwertet.

Ist das nicht ein bisschen pauschal?

Klar, und ich will das auch gar nicht jedem unterstellen. Aber ich glaube, insgesamt gibt es eine große Tendenz zur Verlogenheit. Das ist genau wie beim Theater!

Beim Theater?

Ja. Alle behaupten immer, es würde um wahnsinnig viel gehen. Aber wenn sie ganz ehrlich sind, geht es vor allem darum, gute Kritiken zu bekommen und eine hohe Zuschauerauslastungsrate zu haben, um noch mehr Jobs zu kriegen. Und es geht darum, geliebt zu werden. Mit wenigen Ausnahmen, zum Beispiel dem Gorki. Das verfolgt eine wirklich idealistische Konzeption.

Und Sie?

Ich hatte tatsächlich gerade eine kurze Krise. Als Student bin ich ja auch sehr idealistisch ans Theater herangegangen.

Hat große Pläne: Der Jungregisseur Ersan Mondtag
Hat große Pläne: Der Jungregisseur Ersan Mondtag

© Martin Kobold

Sie haben zwei Jahre in München Regie studiert und dort mit Ihrer freien Gruppe Proben von Johan Simons an den Kammerspielen gestürmt oder auf dem Oktoberfest Polizeieinsätze verursacht.

Ja, als Student bin ich einfach auf die Straße gegangen und habe irgendwas ausprobiert, weil ich wütend war. Da ging es nicht darum, dass ich Geld verdiene oder irgendwie wahrgenommen werde. Und da brauchte ich auch keine 50.000 Euro, um irgendein geiles Ding auf die Bühne zu bauen. Sondern das kam wirklich aus einem inneren Impuls heraus: Hey, wir kaufen uns jetzt in Neukölln irgendwelche Burkas und gehen damit in München aufs Oktoberfest.

Was ziemliche Irritationen auslöste.

Spätestens, als wir so verschleiert am Schießstand auftauchten und mit den Gewehren hantierten, kam der Veranstalter mit der Polizei und legte uns nahe, das Gelände zu verlassen. So was hat mich damals interessiert: Im öffentlichen Raum Bilder herzustellen, die eigentlich ganz anders konnotiert sind, und sie dann in neue Kontexte zu transportieren. Eine komplette Wahrnehmungsverschiebung!

Und heute?

Heute wache ich auf und denke: Wo bin ich denn plötzlich gelandet? Das ist krass: Ich gehe jetzt von einem Projekt zum anderen – die nächsten fünfzehn stehen schon fest – und mache Kunst. Ästhetik und Form. Irgendwo ist das ja auch richtig; das will man ja als Künstler. Aber diesen eigentlichen Impuls, diese Wut und Aggression gegen bestimmte Mechanismen in der Gesellschaft, habe ich komplett verloren.

Wogegen richtete die sich denn konkret?

Ich komme aus einer typischen Gastarbeiterfamilie: Meine Mutter ist Putzfrau, mein Vater betreibt ein Café. Wir haben zu fünft in einer Sechzig-Quadratmeter-Wohnung gelebt – bis ich zwanzig war. Ich hatte immer den Impuls, da auszubrechen. Weil ich das nie akzeptieren konnte, in so eine komische Unterste-Klasse-Schicht gesteckt und nicht ernst genommen zu werden. Und mein ganzes Leben darauf auszurichten, irgendwann als Gastarbeiterkind bei BMW Ersatzteile zu produzieren.

Jetzt sind Sie ein gefragter Regisseur, um den sich lauter A-Klasse-Theater reißen.

Genau, jetzt ist man plötzlich irgendwo angekommen – und merkt: Hui, das ist ja gar nicht attraktiv! Ich komme ja gar nicht mehr dazu, mich über die Welt aufzuregen, weil ich mich die ganze Zeit nur noch über den Betrieb aufrege!

Was nervt denn so am Betrieb?

Als Christoph Schlingensief in den Neunzigern an der Volksbühne anfing, hatte er wahrscheinlich auch nicht auf Anhieb ein volles Haus. Aber er hatte ein cooles Theater, wo man gesagt hat: Scheiß’ auf die Zuschauerzahlen, wir müssen diesen Typen halten, der ist begabt! Dann hat man den vier, fünf Jahre aufgebaut, und dann hat der seine Zuschauer gefunden.

Und das können oder wollen die Theater heute nicht mehr leisten?

Ich hatte Glück, weil ich gleich Erfolg hatte. Aber normalerweise haben junge Regisseure, die heute aus der Schule kommen, genau eine Chance. Und dann richten sie natürlich schon den Stoff und die Konzeption danach aus, dass es hoffentlich ein Erfolg wird, damit sie überhaupt noch einen zweiten Job bekommen. Die lassen sich also von Anfang an so extrem auf eine gängige Intendanten- oder Dramaturgen-Vorstellung davon ein, wie Theater zu funktionieren hat, dass sie total vergessen, wo sie herkommen.

Wie würden Sie denn das Theater verändern, wenn Sie Intendant wären?

Ich hätte keinen Ibsen auf dem Spielplan, keinen Schiller, keinen Hebbel, keinen Shakespeare. Antike würde ich machen, so an die Peter-Stein-Tradition anknüpfend. Aber in Überschreibungen: Dass man die Theatergeschichte als Grundlage verwendet, um neue Autorenschaften zu entwickeln. Elfriede Jelinek arbeitet ja zum Beispiel so, die finde ich großartig! Ich würde ein Ensemble bauen. So ein richtig großes, tolles Ensemble mit möglichst jungen Leuten.

Vielleicht sollten Sie sich mal um ein Theater bewerben?

Das will ich unbedingt! Ich würde ja voll gern die Schaubühne übernehmen, wenn Thomas Ostermeier dort mal weggeht. Vielleicht geht er ja nach New York, an den Broadway.

Alles klar, die Schaubühne. Haben Sie Ihre Bewerbung auch schon beim Kultursenator abgegeben?

Ja, ich werde Klaus Lederer demnächst treffen und mit ihm darüber sprechen. Ich hab ihm auch schon geschrieben und Ansprüche erhoben: Hör zu, ich komme aus Berlin, ich hab’ eine bestimmte Geschichte, und Peter Stein und Thomas Ostermeier waren jeweils junge Leute, als sie an die Schaubühne kamen. Und ich bin als Berliner von den Jungen, finde ich, momentan der souveränste Kandidat. Ich würde ein Superteam aufstellen, ich hab genug Leute! (Lacht)

„Bei Castorf habe ich Freiheit gelernt.“

Szene aus „Die Vernichtung“ von Ersan Mondtag, das zum Ende des Theatertreffens im Haus der Berliner Festspiele läuft.
Szene aus „Die Vernichtung“ von Ersan Mondtag, das zum Ende des Theatertreffens im Haus der Berliner Festspiele läuft.

© Birgit Hupfeld

Aber Selbstbewusstseinsprobleme haben Sie nicht, oder?

Es ist manchmal ein bisschen zu viel, ich weiß. Ich hatte einfach nie was zu verlieren, weil ich aus so extrem niederen Verhältnissen komme. Und über diese systematische Unterschätzung meiner Person als Kind – oder auch als Angehöriger einer bestimmten Gruppierung – habe ich mir eine extreme Schale angeeignet, großen Ehrgeiz entwickelt und relativ früh entschieden, dass die einzige Instanz, die bestimmt, ob etwas gut oder richtig oder falsch ist, ich selbst bin.

Sie sind noch keine dreißig und schon zum zweiten Mal zum Theatertreffen eingeladen. Interessiert das einen bekennenden Betriebsskeptiker überhaupt?

Über die Einladungen habe ich mich sehr gefreut. Das Theatertreffen gehört ja weniger dem Betrieb als den Kritikern.

Weil die Auswahl von einer Kritikerjury getroffen wird.

Genau, und für Kritik bin ich tatsächlich sehr dankbar! Egal, wie problematisch man bestimmte Besprechungen findet: Auf jeden Fall existiert da eine hinterfragende Instanz, die gegenüber diesem extrem empfindlichen Betrieb unglaublich wichtig ist. Das könnten Sie als Kritikerin auch radikaler vertreten, finde ich!

Das müssen Sie erklären!

Die meisten Theaterleute sind voll die eitlen Säcke; ganz schlimm! In der Kantine sitzen, trinken, Feindbilder konstruieren und die ganze Zeit nur darüber sprechen, wie geil man selber ist – das ist das, was ich anfänglich mit Narzissmus meinte. Und viele versuchen, die Journalisten zu bevormunden, wie sie etwas zu verstehen oder zu beschreiben haben. Da denke ich: So ein Quatsch! Man möchte doch auch kritisiert werden.

Nicht wirklich, oder?

Doch! Also ich schon!

Sie haben nach dem Abitur erst mal bei sämtlichen Berliner Altmeistern hospitiert oder assistiert – Thomas Langhoff, Claus Peymann, Frank Castorf. Welcher war der wichtigste?

Die waren alle wichtig: Sehr unterschiedlich und jeweils perfekt in dem, was sie tun. Aber ich glaube, bei Castorf fand ich es am spannendsten. Da habe ich Freiheit gelernt.

Inwiefern?

Castorf sitzt mit zehn Büchern auf der Probe, und alles ist Material. Ersan Mondtag nimmt die neben ihm liegende Zigarettenschachtel in die Hand und liest: Rauchen ist tödlich. So. Und dann spricht das plötzlich Sophie Rois. Oder Castorf bekommt ’ne SMS: Das setzt der alles ein. Und wie er diese Bezüge herstellt und Figuren vermischt, das hat mich, glaube ich, tatsächlich am weitesten gebracht. Das ist schon ein ganz toller Typ!

Und Vegard Vinge, bei dessen Totaltheatermarathon „John Gabriel Borkman“ Sie 2011 im Prater assistierten?

Vinge ist die souveränste und originellste Fortführung von Frank Castorf. Alles andere ist Quatsch, mich selbst eingeschlossen! Vinge ist wirklich großartig; meine gesamte Theatergeneration steht unter seinem Einfluss!

Haben Sie auch dramatische Feindbilder?

Ja, Alltagsästhetik! Also wenn Leute auf der Bühne so aussehen wie ich. Und: Frauen mit kurzen Röcken! Überhaupt jede Form von Sexismus und Rassismus und stereotypen Bildern, sofern sie nicht bewusst ausgestellt werden, sondern so latent durchgehen. Da gehe ich meistens raus und sag auch was dabei.

„Drei Schwestern“ aus Basel in der Regie von Simon Stone eröffnen das Theatertreffen am 6. Mai. Am 7. Mai wird der Regisseur Herbert Fritsch mit dem Berliner Theaterpreis ausgezeichnet. „Die Vernichtung“ von Ersan Mondtag läuft zum Ende des Theatertreffens im Haus der Berliner Festspiele. Nach Absagen aus München und Hamburg sind noch im Programm: „Die Borderline Prozession“ aus Dortmund, die internationalen Koproduktionen „Real Magic“ von Forced Entertainment und „Five Easy Pieces“ von Milo Rau, „89/90“ vom Schauspiel Leipzig , „Traurige Zauberer“ aus Mainz und der „Pfusch“ von Fritsch von der Volksbühne. Dazu gibt es den Stückemarkt und Performance- Gastspiele, ebenfalls im Festspielhaus. Das Theatertreffen läuft bis 21. Mai.

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