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Harald Martenstein

© Britta Pedersen/dpa

Berliner Theaterstreit: Der Zeitgeist, den sie meinen

Der Zeitgeist von heute ist, laut Umfragen, antikapitalistisch, antibürgerlich, antielitär. Genau diese Haltungen haben die meisten Theatermacher seit Jahren vertreten. Sie haben genau den Zeitgeist bekommen, den sie haben wollten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Martenstein

In Berlin sollen zwei verdiente, inzwischen ein wenig ermattete Theaterfürsten nach langen Jahren der Herrschaft durch jüngeres Personal ersetzt werden. Deswegen herrscht in Teilen der Theaterwelt und in manchen Feuilletons eine Aufregung, als ob die deutsche Kultur vorm Untergang stünde.

Das ist immer so in solchen Fällen. Theaterfürsten denken in der Regel fortschrittlich und sind für gesellschaftliche Veränderung, wenn nicht gar für die Revolution. In Bezug auf sich selbst sind sie eher Feudalisten und halten sich für so unersetzlich wie die Queen.

Das staatsfinanzierte deutsche Theater ist eine große Errungenschaft. Aber es steht vor einer Zeitenwende. Das gebildete Publikum und die bürgerliche Kultur, die der Humus waren, auf dem es wuchs, sind im Begriff, allmählich zu verschwinden. Wer heute das Abitur macht, hat manchmal keinen einzigen klassischen Text gelesen. Das Wort „Wissen“ ist für die Bildungspolitik zum Unwort geworden, man redet lieber von „Kompetenz“. Immer weniger Menschen sind in der Lage, auch nur ansatzweise zu begreifen, was zum Beispiel das Regietheater tut – klassische Texte auseinanderzunehmen und neu zusammenzusetzen.

Das Hasswort der Fürsten heißt „Eventkultur“

Wie kann das Theater in einer Welt von Belang sein, in der fast alle mit dem Internet aufgewachsen sind, fast niemand über Kenntnisse der Kulturgeschichte verfügt und kaum jemand längere, komplizierte Texte liest? Das ist die Frage der Zukunft.

Das Hasswort der Fürsten heißt „Eventkultur“. Dieses Wort kann man dumm finden. Aber was bedeutet es? Ein „Event“ ist ein Ereignis, dass von vielen wahrgenommen wird. Ein „Event“ ist etwas, worüber man spricht. Eine hochsubventionierte Kultursparte sollte es nicht für unfein halten, wenn man von ihr gesellschaftliche Relevanz verlangt. Der größte deutsche Eventkünstler der letzten Jahrzehnte hieß übrigens Christoph Schlingensief.

Der Theatermacher Jürgen Flimm hat in dieser Zeitung der Eventkultur vorgeworfen, sie sei „gut gefördert“, eine „Anrufung des Zeitgeistes“, da gehe es um das „vom Bass tönende Humtata angesagter Tanzschuppen“. Für mich klingt letzteres wie eine Stimme aus dem Seniorenheim, die sich über die Jugend von heute beklagt. Und es ist putzig, wenn ein zeitlebens weitgehend aus Steuergeldern gut bezahlter Künstler anderen vorwirft, dass sie Subventionen bekommen. Die anderen bedienen den Zeitgeist, ach so. Der Zeitgeist von heute ist, laut Umfragen, antikapitalistisch, antibürgerlich, antielitär. Genau diese Haltungen haben die meisten Theatermacher seit Jahren vertreten. Sie haben genau den Zeitgeist bekommen, den sie haben wollten. Aber wenn es das Bildungsbürgertum nicht mehr gibt, vermisst man es halt doch. Am Grunde der Moldau wandern die Steine.

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