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Berliner Theatertreffen: Blutlache vor der McDonalds-Filiale

Beim Berliner Theatertreffen gastiert Regisseur Lukas Langhoff mit Ibsens „Volksfeind“, einer Inszenierung aus Bonn. Eine Begegnung mit dem ungewöhnlichen Stadttheatermacher.

Seltsamer Kauz, dieser steppende Conférencier im Glitzerfrack. Lobt die schönen Menschen, die schöne Stadt, das schöne Theater. Und klagt im nächsten Moment radebrechend: „Weiß ich wirklich nicht, wo ist meine Heimat.“ Unvermittelt lässt er Heiner Müllers Lyrik in seine Rede gewittern, „im Regen aus Vogelkot im Kalkfell“, und im nächsten Moment droht er einem Zuschauer „Ich hau dir Fresse ein“. Aber hey, nur Spaß! Ein unberechenbarer Zeitgenosse, dieser Badearzt Tomas Stockmann. Noch dazu ist er schwarz.

Lukas Langhoff verschafft der Titelfigur aus Henrik Ibsens „Volksfeind“ in seiner Bonner Inszenierung zu Beginn eine surreale Show, dazu einen Migrationshintergrund. Dieser Quertreiber des Kurorts, der den Honoratioren und der Presse die Party zu verderben droht, weil er weiß, dass in der Badeanstalt das Wasser verkeimt ist, wird von dem dunkelhäutigen Ensemblemitglied Falilou Seck gespielt. Wobei Langhoff betont, dass er damit zunächst keine Aussage treffe, sondern erst der Zuschauerblick den Mann zum Fremden mache, zum doppelten Außenseiter.

Hinzu kommt, dass dieser Aufsteiger in seinem wendigen Assimilationsbemühen ziemlich unsympathisch erscheint. Aber Reflexe der Political Correctness sind ebenfalls nicht die Sorge des Regisseurs. Er habe, sagt Langhoff leicht verschmitzt in einem Café im Kreuzberger Bethanien, schon mit vielen verschiedenen Menschen schlechte Erfahrungen gemacht, ob das jetzt Afrikaner, Deutsche oder Türken waren. Entsprechend rücksichtslos verführt er Seck zu einem furiosen Sturmlauf zwischen Anpassung und Amok.

Lukas Langhoff, 48-jähriger Regisseur aus Berlin, Sohn des kürzlich verstorbenen Theatermachers Thomas Langhoff, ehemaliger Assistent von Frank Castorf, verheiratet mit Shermin Langhoff, der Leiterin des Ballhaus Naunynstraße, ist mit dem „Volksfeind“ zum ersten Mal beim Theatertreffen vertreten. Wozu er, bei aller Freude, eine ambivalente Haltung hat. Sich zur Karrierebeschleunigung aufs Karussell der Eitelkeiten zu schwingen, fiele ihm eher nicht ein. Wenn Journalisten jetzt um ein Interview bitten, müssen sie sich im Zweifel fragen lassen, wo sie denn in den letzten 16 Jahren waren. Ob sie die Premiereneinladungen nicht bekommen hätten. Stimmt natürlich. Langhoff, der in den 90ern drei Jahre den Prater der Volksbühne leitete, hat kontinuierlich gute Arbeiten produziert. Nur eben in Städten unterhalb des allgemeinen Aufmerksamkeitsradars, in Magdeburg, Potsdam oder Bremen.

„In der DDR“, erzählt Langhoff, „gab es die Einstufungskommission für kulturelle Beiträge.“ Wer als Musiker sein Geld verdienen wollte, musste dort vorspielen. Eine Tamara Danz von der Band Silly oder ein Tony Krahl von City saßen in diesem Gremium, das an der Kastanienallee über die staatliche Anerkennung als Künstler entschied. Ein bisschen komme es ihm so vor, schließt Langhoff sarkastisch den Bogen, als habe er mit der Einladung zum Theatertreffen nun ebenfalls seinen Künstlerstempel erhalten.

Langhoff sucht Reibungsflächen. Die findet er vor Ort, als Stadttheatermacher. Wie jetzt in Bonn, wo er ein unterschwelliges reaktionäres Grummeln und ein vergebliches Festhalten an der alten Hauptstadtglorie spürte. Entsprechend hat er eine Fassbinder’sche Wirtschaftswunderstimmung beschworen. Und ein paar Spitzen gegen das Bonner „World Conference Center“ eingebaut, diese schlagzeilenträchtige, großmannssüchtige Investitionsruine, „ein Gespensterhaus, das vom Wachschutz abgeriegelt wird“.

In Dessau dagegen, wo Langhoff Uwe Tellkamps DDR-Panorama „Der Turm“ am Anhaltischen Theater inszeniert hat, lief er über Tage an einer Blutlache vor der McDonalds-Filiale neben seiner Gästewohnung vorbei. Bei einer Rangelei hatte ein gewalttätiger Afrikaner einem jungen Deutschen dort ein Messer in den Kopf gerammt, der war Fußballspieler bei einem rechten Verein. „Das ist Dessau“, sagt Langhoff. Abends demonstrierten 400 Neonazis, kurzzeitig stand zu befürchten, „dass die Stadt kippt“. Dass ein Mob loszieht, der sich nicht mehr kontrollieren lässt. Auch vor diesem Hintergrund hat er Tellkamps Personal um zwei Vietnamesen erweitert: weil in der gescheiterten Integration dieser Vertragsarbeiter aus Fernost zu DDR-Zeiten viele der heutigen Probleme mit Fremdenfeindlichkeit wurzeln, glaubt Langhoff.

In Magdeburg hat er mal mit Asylbewerbern im Fascho-Look eine Modenschau vor einem rechten Klamottenladen aufgezogen. Klar, lächelt Langhoff, sei das „Schlingensief pur“. Aber eben auch „Magdeburg pur“. Er käme nicht darauf, seine Volksbühnenprägung zu leugnen, besonders die durch Castorf. „Der gesamte Theaterbegriff wurde da für mich definiert.“ Aber er hat schließlich konsequent den Bruch vollzogen und den eigenen Weg beschritten. „Jede Stadt hat ein Thema. Und wenn du dich darauf einlässt, findest du dich auch selbst darin.“

Er sei oft gefragt worden, erzählt Langhoff, ob er nicht bereichernde Theatergespräche mit dem Vater geführt habe. Die Antwort lautet Nein. Er war auch nie auf dessen Proben, das Verhältnis der beiden war kein unbeschwertes. Am Ende aber stand ein versöhnlicher Moment. In eine derart beziehungsreiche Theaterdynastie geboren zu werden, das bedeutet im Zweifelsfall ein schweres Erbe. Lukas Langhoff hat für das Familiengefühl aus Geschichtsbewusstsein und -belastung irgendwann die Formel gefunden: „Ich bin nicht stolz auf unsere Vergangenheit. Aber ich bin stolz auf unsere Gegenwart.“

Di, 15.5. (20 Uhr), Mi, 16.5. (19.30 Uhr), Haus der Berliner Festspiele

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