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Wahnsinn in Noten. Günther treibt die „Ohne Titel“-Truppe an.

© Thomas Aurin

Ingo Günther beim Berliner Theatertreffen: Der Mann am Knarzofon

Lauter bitte! Schneller! Doller! Ingo Günther ist Komponist und Dirigent der Herbert-Fritsch-Oper und bringt mit seinen bizarren Kreationen das entfesselte Spaßtheater erst richtig in Schwung.

Musik hat im Schauspiel nicht selten die Rolle eines Kleinkindes. Sie darf gern rühren oder Wonnegefühle erzeugen, soll aber vor allem nicht unangenehm auffallen. Ingo Günther kennt das. Den Wunsch nach Kompositionen, die nur Illustration der Atmosphäre oder Emotionen-Verstärker sind. Regisseure, die sagen: Mach doch mal so einen David-Lynch-Sound! Oder Schauspieler, die mit einem Lied von Bob Dylan ankommen, weil es perfekt das Stück spiegele. „Es gibt in der gesamten Theaterliteratur keine Szene, zu der nicht irgendein Popsong passen würde“, sagt Günther nur.

Ein Grund, warum er auf solche Hit-Zitate gern verzichtet und lieber seine eigenen Klänge schafft. Nicht aus Selbstverliebtheit, wie er betont. „Ich finde bloß, dass Theater ein Kunstraum sein sollte, aus dem der Alltag ausgesperrt bleibt.“ Eine Philosophie, die der Musiker mit seinem Lieblingsregisseur teilt.

Ingo Günther ist der Mann, der das entfesselte Spaßtheater des Herbert Fritsch erst richtig in Schwung bringt. Gemeinsam eilen sie von Erfolg zu Erfolg, sind dieses Jahr mit ihrer Kreation „Ohne Titel Nr.1“ zum Theatertreffen eingeladen. Der ins Rampenlicht gerückte Musiker ist dabei eben nicht der Dienstleister fürs Abfahren der Ton-Konserven. Sondern inszeniert als Komponist und oft auch Dirigent die expressionistischen Sausen mit. Seine Musik befeuert, spannt Bögen, provoziert Brüche. Je extremer, desto besser. Fritschs favorisierte Regieanweisung laute, amüsiert sich Günther: „Lauter! Doller! Schneller!“ Ungebremste Experimentierfreude, bitte. Kann er haben.

Für Fritschs „(S)panische Fliege“ hat Günther das Trampofon erfunden, ein akustisch abgenommenes Trampolin. Den tollen Ein-Wort-Abend „Murmel Murmel“ treibt er am variantenreich trötenden Marimbaphon an. Für „Ohne Titel Nr. 1“ haben ihm die fleißigen Volksbühnen-Handwerker nun ein Knarzofon gebaut. „Eine Art Waschmaschine aus Holz, in die man eine Kurbel stecken und sie quietschen lassen kann“, erklärt der Soundkünstler. Er sägt auch live.

Oper, das ist bei diesem Querkopf-Duo ein dehnbarer Begriff. „Murmel Murmel“ sei letztlich auch eine Sprechoper gewesen, findet der Komponist. Es gibt in „Ohne Titel“ weder Arien-Schmelz noch geheiligte Partitur. Dafür Latino-Rhythmen, spacig leiernde Sounds, filmreif anschwellende Synthie-Wogen. Der Abend ist eine mehrbödige Feier der Sinnfreiheit – und, na klar, harte Arbeit. Günther hat sich kürzlich selbst scherzhaft als „Musik-Minister“ des Herbert Fritsch bezeichnet. Was schon insofern passt, als dessen Inszenierungen eben keine Anarchie sind. Sondern oft den Spagat zwischen strenger Bürokratie und waghalsigem Freestyle verlangen. „Murmel Murmel“ – vom Autor Dieter Roth über 176 Seiten exakt durchgetimet – war für Günther nicht zuletzt eine schweißtreibende Zähl-Eskapade im 6/8-Takt. „Die Ernsthaftigkeit“, beschreibt er, „liegt bei uns im Handwerk. Weniger in einer Bedeutungshuberei, die ruft: Achtung, hier kommt Kunst! Jetzt wird’s wichtig!“

Es fällt inflationär oft das Wort Nonsens, wenn es um Fritschs Arbeiten geht. „Genau so könnte man sagen, Jackson Pollock ist Nonsens. Oder Mondrian“, hält der Komponist dagegen. Bei Fritsch gehe es eben auch nicht um das kunstvoll hingetupfte Landschaftsporträt. Sondern um den fett sichtbaren Pinselstrich. Die Form bestimmt den Inhalt. Und die ist abstrakt, verzerrt, verspielt, furios vergrößert. Günther kommt das entgegen, das ist sein Stil.

Lautstärke kann sehr produktiv sein.

Der Endvierziger ist während des Kulturwissenschaftsstudiums in Hildesheim zur Theatermusik gekommen. Eher reingerutscht, sagt er. Günther war in der regen Offszene der Studentenstadt Mitbegründer der freien Gruppe „Theater Aspik“. Außerdem stellte er mit Freunden ein Ensemble aus Musikern zusammen, das sich „Boxen Team“ nannte. Das erste Stück spielte entsprechend im Kampf-Ring und wurde von „sehr Heavy-Metal-mäßiger Musik“ bedröhnt.

Lautstärke kann sehr produktiv sein. Findet Günther noch heute. Einmal, während der Proben mit dem Regisseur Sebastian Baumgarten, plagte sich ein Schauspieler erbarmungswürdig mit einem Monolog ab. „Ich habe dann nach der Hälfte einen Presslufthammer eingespielt“, erzählt Günther. Mit durchschlagender Wirkung. „Der musste seinen Text plötzlich so verteidigen, dass man ihn verstanden hat.“ Störungen, Reibungen, Irritationen des Bekannten, das liegt ihm. Als er mit Fritsch in Wiesbaden an „Volpone“ arbeitete, nahm er sich den dreiminütigen ersten Satz aus Vivaldis „Winter“ vor und dehnte ihn auf 111 Minuten. Man kann sich leicht vorstellen, dass Fritsch – mit dem Günther bei der Videoreihe „Hamlet X“ zusammenzuarbeiten begann – auf so etwas abfährt.

Wobei die Unternehmungen der Fritsch-Familie, zu der auch Dramaturgin Sabrina Zwach und Kostümbildnerin Veronika Behr zählen, zwar von ziemlich blindem Verständnis getragen, aber nicht gegen Sinnkrisen immun sind. Egal, ob Günther für „Frau Luna“ die schwer erträglichen Operetten-Ohrwürmer des Paul Lincke neu hörbar machen oder sich Musik für eine Oper ohne Handlung ausdenken muss, „schlaflose Nächte gehören dazu.“ Es ist ja jedes Mal ein Gang ins Ungewisse. Am Ende aber hat der Wahnsinn stets Methode. „Unser Theater bildet nicht einfach eine Realität ab, sondern schafft seine eigene“, bringt es Günther auf den Punkt. Die wäre nicht halb so schön ohne eine Musik, die quietschen und knarzen darf.
„Ohne Titel Nr. 1“ Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 14. und 15. Mai, 19.30 Uhr.

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