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Kultur: Berliner Theatertreffen: Die Kommissarin singt

Romane schreiben, hat der spanische Autor Javier Marías einmal gesagt, ermögliche dem Romancier, einen guten Teil seiner Zeit in der Fiktion zu verbringen und im Königreich dessen, was gewesen sein könnte und nie gewesen ist, zu leben. Dass dies auch der Lieblingsort des seit zwei Jahrzehnten in Berlin lebenden Schweizer Autors Matthias Zschokke ist, haben die - viel zu wenigen - Kenner seines Werkes schon lange geahnt.

Romane schreiben, hat der spanische Autor Javier Marías einmal gesagt, ermögliche dem Romancier, einen guten Teil seiner Zeit in der Fiktion zu verbringen und im Königreich dessen, was gewesen sein könnte und nie gewesen ist, zu leben. Dass dies auch der Lieblingsort des seit zwei Jahrzehnten in Berlin lebenden Schweizer Autors Matthias Zschokke ist, haben die - viel zu wenigen - Kenner seines Werkes schon lange geahnt. Doch selten wurde so deutlich, dass der Romancier Zschokke auch in seinen Theaterstücken - wie sein Kollege Marías - nicht die Wirklichkeit, sondern eher die Nichtwirklichkeit wiedergibt und sich auf das Territorium einer Realtität vorwagt, die noch möglich wäre und sich jederzeit erfüllen könnte.

Zum Beispiel in "Die singende Kommissarin", Zschokkes neuem Stück, das zum Abschluss des Stückemarkts auf dem Berliner Theatertreffen präsentiert wurde. Zschokke, seit Jahren mit Romanen wie "Max" und "Das lose Glück", Filmen wie "Edvige Schmitt" und "Erhöhte Waldbrandgefahr" sowie Theaterstücken wie "Brut" und "Die Analphabeten" immer wieder für fantasievoll verspielte, sich gegen jeden Trend stemmende Überraschungen gut, hat diesmal einen ebenso vertrackten wie bizarren Bühnenmonolog aufs Papier gezaubert.

Ein Krimi? Ein Melodram? Eine Einsamkeisstudie in der Großstadt? Vor 20 Jahren waren die "Singende Kommissarin und ihre swingenden Vopos" Kult. Doch heute sitzt sie, die früher einmal mit Liedern wie "Dobermännchen", "Bauaufsicht" und "Metzger im Urlaub" die Herzen eroberte, ziemlich vergessen und verlassen in ihrer Polizeiwache Abschnitt 32. Es ist Silvester in Berlin und die Radio-Redaktion von "Ohr vor Ort" hat das schäbige Dienstzimmer mit Mikrofonen bestückt. So kann man überall in der Stadt mit anhören, was sich in einer nicht enden wollenden Nacht bei der am Dienst-Telefon hockenden, singenden Kommissarin ereignet.

Oder besser nicht ereignet: Denn außer einem herrenlosen Kopf im Wasserbecken des Ernst-Reuter-Platzes findet sich kaum irgendetwas nennenswert Kriminelles. Also kommt die Kommissarin, die Radio-Hörer wollen schließlich unterhalten werden, ins Erzählen. Ins Grübeln. Ins Träumen. Und natürlich ins Summen und Singen. Christine Schorn, die ihre darstellerischen Fähigkeiten am Deutschen Theater schon lange nicht mehr voll ausreizen durfte, plappert und plaudert in ihrer unnachahmlichen Art drauf los. Stellt sich, mit ihrem fluntschigen Mund und ihrer zeternden Stimme dümmer als sie ist, macht lange, sprechende Pausen, lotet die erst so leicht und amüsant erscheinende, später so abgrundtief verzweifelt und melancholisch daherkommende Lebensbeichte einer in ihrer Fantasiewelt herumirrenden Frau facettenreich aus.

Udo Samel (als leisetreterischer Polizist mit maskenhaftem Doppelleben) und Peter Simonischek (als aus dem Off mahnender Moderator) müssen sich mit kleinen Gast-Rollen begnügen, ordnen sich ganz der grandiosen Christine Schorn unter. Die drei spürbar animierten Schauspieler lesen Zschokkes Text so packend, dass man sich sehnlichst eine Inszenierung, zum Beispiel in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, wünscht.

Bei Dirk Dobbrows "Alina westwärts" hält sich dieser Wunsch dann doch eher in Grenzen. Der in Berlin lebende Schriftsteller und Schauspieler, der für "Legoland" den Kleist-Förderpreis davontrug, hat sich diesmal an den Stadtrand begeben und an einer ausrangierten Tankstelle das ziellose, irgendwie erotisch aufgeladene Geplapper und Getue von Randexistenzen belauscht. Alle haben die üblichen Wünsche, wollen weg, wissen aber nicht wohin. Man kennt das, und man weiß, dass das zu nichts führt und auch nicht gut ausgeht.

Nina Hoss ist eine rätselhaft-kalte Alina, Robert Beyer ein sie verwirrt anhimmelnder Tom. Ronald Kukulies zeichnet einen nervös-zappeligen Spex, Frank Seppeler einen dumpf-verschlagenen Bart. Auch Katrin Aebischer (Mutter), Robert Gallinowski (Brumme) und Udo Kroschwald (Eggert) geben ihr Bestes. Doch es hilft nichts. Das mit eingeschobenen Monologen - die intellektuellen Tiefsinn verbreiten sollen, doch nur angestrengt herbeigeredet wirken - arbeitende Stück bleibt bloßes Papier, atmet kein Leben, zeigt nicht Menschen, sondern Klischees. Weil aber inzwischen allenthalben das Stückemarkt-Fieber grassiert, darf "Alina" weiter westwärts reisen. Zum Beispiel nach Heidelberg.

Dort muss Dobbrow im Juni erneut mit Bernhard Studlars aus dem Dramen-Mittelmaß turmhoch herausragenden "Transdanubia-Dreaming" (vgl. Tagesspiegel vom 16. Mai) konkurrieren. Da hat er aber kaum eine Chance.

Frank Dietschreit

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