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Kultur: Berliner Theatertreffen: Neue Heimat

Ein Auftakt mit Risiko: unbekanntes Stück, düstere Inszenierung, unangenehmes und abgelegenes Thema - die Vertreibung protestantischer Bauern aus Tirol. Damit soll man in Festspiel-Laune kommen?

Ein Auftakt mit Risiko: unbekanntes Stück, düstere Inszenierung, unangenehmes und abgelegenes Thema - die Vertreibung protestantischer Bauern aus Tirol. Damit soll man in Festspiel-Laune kommen?

Die Eröffnung des 38. Berliner Theatertreffens mit "Glaube und Heimat" vom Wiener Burgtheater war in vielerlei Hinsicht eine hervorragende Lektion. Zunächst: Die ehemalige Freie Volksbühne ist tatsächlich immer noch das große Gast- und Festspielhaus der Hauptstadt und ein Glücksfall für das Theatertreffen, genau so wichtig wie eine inspirierte Jury. Vier Mal haben die fünf Weisen Wien gewählt. Vier höchst unterschiedliche Inszenierungen. Kein fester, amorpher Burgtheater-Block. Das so genannte Star-Theater von Peter Zadek und Luc Bondy war das noch nicht, sondern ein harter, schwer verdaulicher Brocken.

Wie das alte, neue Haus an der Schaperstraße, so hat sich am Eröffnungsabend auch das Berliner Publikum von seiner guten Seite gezeigt. Es nahm mit großem Beifall Martin Kusejs analytisch-suggestive, tanztheatralisch bewegte Ausgrabung eines Textes an, der eine abenteuerliche Rezeptionsgeschichte aufzuweisen hat. Um das Jahr 1910 entstanden, angesiedelt in der Zeit der Gegenreformation, also vor dem Dreißigjährigen Krieg, erlebte Karl Schönherrs Bauerndrama "Glaube und Heimat" bei den Nationalsozialisten eine böse Verkehrung. Weil da nun viel die Rede ist von Scholle und Boden, von falschem Glauben, dem abgeschworen werden soll, haben die Nazis das Stück des 1943 gestorbenen Österreichers in einer "Musterinszenierung" in die kriegsbesetzten Länder geschickt. Martin Kusej, selbst ein kerniger Kärntner, und das Burgtheater haben das misshandelte Stück (und Schönherrs Ruf) in einer neuen Lesart wieder hergestellt. Und plötzlich hat man Auschwitz und Jugoslawien, den Nahen Osten, den Horror des 20. Jahrhunderts vor Augen, werden aus "Katholiken" auf der Bühne Hitler-Gläubige und Mitläufer und Nutznießer aller Couleur, werden verfolgte "Lutherische" zu Juden, zu Moslems, so wie der Wind der Geschichte sich gerade dreht.

Eine hoch politische Eröffnung - und ein klares künstlerisches Statement. Zwei Stunden lang regnet es ununterbrochen auf die Bühne, die sich in einen schlammigen Pfuhl verwandelt. Mit "Biedermeier" oder altmeisterlicher Regiekunst hat das nichts zu tun. Auch nicht mit den Geschmacksvorstellungen der Partei Jörg Haiders: Österreichs FPÖ-Kulturstaatssekretär Franz Morak, ein ehemaliger Burg-Schauspieler, trat im Spiegelzelt dann allerdings als Überraschungsredner auf. Anstelle von Burgtheaterdirektor Klaus Bachler. Morak hatte Kreide gefressen - und nichts zu sagen. Seine Anwesenheit ist Preis der neuen Bundesunmittelbarkeit der Berliner Festspiele. Moraks deutscher Amtskollege Julian Nida-Rümelin verteilte großzügig rhetorische Sedative und wies einmal mehr darauf hin, was er nicht sei und nicht wolle. Der Staatsminister-Geist, der stets verneint? Dürre Reden, dem Anlass, der Kunst nicht gewachsen. Auch Joachim Sartorius, der neue Festspiele-Chef, gab sich eher einsilbig. Oder standen alle noch unter dem Eindruck des Gezeigten? Die nächsten Wochen - da muss man kein Prophet sein - werden jedenfalls Theater-Triumphe bringen. Burgtheater-Triumphe.

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