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Treffer. Jörg Hartmann als Dr. Bernhardi in der Schaubühne.

© imago/Martin Müller

Berliner Theatertreffen ohne Schauspielkunst: Wo ist Professor Houellebecq?

Pech fürs Berliner Theatertreffen: München sagt „Die Räuber“ ab, die stärkste eingeladene Produktion. Die Jury könnte neu entscheiden.

Wie alle Festivals ist auch das Berliner Theatertreffen vor unverhofften Programmänderungen nicht gefeit. Jetzt hat das Münchner Residenztheater seine Aufführung von Schillers „Räubern“ absagen müssen. Sie hätte wohl zu den Aufregern des am 6. Mai beginnenden Treffens gehört. Der Regisseur Ulrich Rasche, zum ersten Mal nominiert, hat „Die Räuber“ als Spektakel von 19 chorisch skandierenden und martialisch marschierenden Darstellern inszeniert, die auf zwei düster aufragenden, die gesamte Bühne füllenden Laufbändern sowie einem mächtigen Klangteppich durch den Abend bewegt werden. Es klingt nach einer Mischung aus Einar Schleef und Kraftwerk.

Reflexion und Rebellion

Ulrich Rasche hat mit ähnlichen, auf viel Technik, Techno, aber auch Sprach-Musik setzenden Inszenierungen bereits in Frankfurt am Main und Stuttgart beeindruckt. Seine von Schillers Revoluzzer-Drama inspirierte Reflexion von Rebellion, Demagogie und Rausch der Masse wäre in Zeiten des neuen Populismus für das Theatertreffen eine interessante Farbe gewesen. Allein, die gigantische Laufband-Konstruktion des Bühnenbildners Paul Demmelhuber ist im Berliner Festspielhaus nicht zu installieren. Deshalb werden Rasches „Räuber“ auf dem Festival nur als Fernsehaufzeichnung von 3sat gezeigt.

Auch früher konnten bisweilen nicht alle der traditionell zehn von einer Jury ausgewählten Inszenierungen in Berlin präsentiert werden. Aber diesmal ließe sich die Absage auch als Chance begreifen. Denn für den frei gewordenen Platz gäbe es Aspiranten. Schwer verständlich wirkt ja schon, dass aus Berlin zwar Herbert Fritschs kunstvolle, freilich kleine „Pfusch“-Aufführung nominiert wurde, indes weder Robert Wilsons brillantes Beckett-„Endspiel“ am Berliner Ensemble noch Thomas Ostermeiers aktuell-intelligente wie schauspielerisch grandiose Version von Schnitzlers „Professor Bernhardi“ an der Schaubühne.

Edgar Selge atemberaubend

Gravierender aber ist, dass eine der absolut „bemerkenswertesten“ (Auswahl-Kriterium) Aufführungen für Berlin glatt übersehen wurde. Es geht um Karin Beiers gefeierte Inszenierung von Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Keine der vielen modischen Roman-Adaptionen, nein: eine atemberaubende, ungeheuerlich bewegende Verkörperung durch den Schauspieler Edgar Selge. Der Stoff, die Vision eines islamisch regierten Frankreichs, ist ja ohnehin brisant. Doch Selge, von der Kritik dafür in „Theater heute“ zum Schauspieler des Jahres gewählt, macht daraus im riesigen Raum des Hamburger Schauspielhauses buchstäblich für zweieinhalb Stunden Welt-Theater – und am Ende jeder Vorstellung erheben sich über tausend Zuschauer zur stehenden Ovation.

Ein Ereignis. Poetisch, politisch, dramatisch. Aber von der sonst so fleißigen Jury des Theatertreffens, die 377 Inszenierungen in 63 deutschsprachigen Städten besucht hat, offenbar übersehen. Denn die Hamburger „Unterwerfung“, die 2016 kurz nach Terminschluss der Auswahl für das letztjährige Theatertreffen Premiere hatte und darum Sache der diesjährigen Jury hätte sein müssen, wird in der im Internet bereits nachlesbaren Liste der näher diskutierten Aufführungen überhaupt nicht erwähnt.

Treffen ohne Treffer

Angesichts des nun frei gewordenen Platzes und einer Auswahl, die gelegentlich auch den Blick für das eher Ephemere vermuten lässt, wäre es ein Zeichen von selbstkritischer oder großzügiger Einsicht, wenn das Theatertreffen mit einem Extravotum noch Michel Houellebecqs, Karin Beiers und Edgar Selges „Unterwerfung“ nach Berlin einladen würde. Ein Treffen ohne diese Aufführung wäre kein Treffer.

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