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Berliner Theatertreffen: Wenn Starke Schwäche zeigen

Berliner Theatertreffen: Eine „Reise durch die Nacht“ mit dem Schauspiel Köln, ein Schwächeanfall auf der Bühne – Impressionen von einer seltsam verrutschten Gala mit Erinnerungen aus 50 Jahren.

Für gewöhnlich ergibt sich aus dem Inhalt eines Dramas seine Form. Bei der britischen Regisseurin Katie Mitchell, Jahrgang 1964, ist es umgekehrt. Bei ihr weiß man, egal, welche Geschichte sie erzählt, schon vorher ziemlich genau, wie sie aussehen wird. Vorn auf der Bühne steht bei ihr die immer gleiche komplexe Architektur, halb Bühnenbild, halb Filmset.

Ein Setzkasten, in dem sich Spielzimmer mit Tonstudios und Sprecherboxen abwechseln. Unten agieren Schauspieler, beleuchtet und gefilmt von Kameraleuten, während man auf der Leinwand im ersten Stock das Gespielte als virtuos geschnittenen Live-Film bewundern kann. Virtuos und bewunderungswürdig sind zwei Wörter, die für das Filmtheater der Katie Mitchelll von enormer Bedeutung sind.

Ob ein Abend glückt oder nicht, hängt ganz von dem Stoff ab. Ist er vielschichtig und komplex, ist er stark genug, um den technoromantischen Budenzauber und die naseweise Jonglage mit Traum, Wirklichkeit, Zeit und porösem Ich zu rechtfertigen? Die Erzählung „Die gelbe Tapete“, vor einigen Monaten an der Schaubühne herausgekommen, erzählte zu eindimensional vom Wahnsinnigwerden einer Frau. Das Ganze lief als aufgedonnerte Illustration eines inneren Monologs schnell leer.

Bei dem Text „Reise durch die Nacht“ vom Schauspielhaus Köln geht es dagegen wunderbar auf. Auch der Text von Friederike Mayröcker aus dem Jahr 1984 ist ein Monolog und handelt von der Selbstauflösung einer Frau, verzahnt dabei aber traumatische Kindheitserinnerungen und gegenwärtige Handlungsebene auf eine spannende Weise, die schließlich auf die Entdeckung eines Geheimnisses, eines verdrängten Ereignisses hinausläuft. Nach der Beerdigung ihres Vaters reist eine Frau mit ihrem Ehemann mit dem Nachtzug von Paris nach Wien – und verliert sich in der Dunkelheit der Nacht in Trauer und Wahn.

Das verzweifelte Gesicht Julia Wiesingers in Großaufnahme, die düstere Enge eines Zugabteils, die ohnmächtige Zehnminutenflucht in die Arme des Schaffners und der Gewaltausbruch des eifersüchtigen Ehemanns, der schockartig die verlorene Erinnerungen ans überreizte Bewusstsein spült. Im ewig gleichen Rattern der Zugräder gelingt Katie Mitchell und ihrem Team ein bewegender Thriller der Selbstbefreiung. Andreas Schäfer

Moderatorin Hüller erleidet Schwächeanfall

Naturgemäß war früher alles besser. Man muss nur sehen, wie Herbert Fritsch auf die Bühne sprintet und von seinem Theatertreffen-Auftritt mit „Miss Sara Sampson“ erzählt. Im Mai 1990 war’s, als das Frank-Castorf-Theater auf dem Umweg über München über die West-Berliner kam. Tumulte im Zuschauerraum, großartige Stimmung! Es ging um etwas. Auch die wunderbare, stille Ilse Ritter ist zu Gast, sie erzählt so behutsam aus Zeiten, die noch etwas länger zurückliegen, von Claus Peymann und Thomas Bernhard, der seinen Lieblingsschauspielern „Ritter, Dene, Voss“ auf den Leib und in die Seele schrieb. Und dann ist schon Schluss mit der Erinnerung, mehr Geschichte wollen Intendant Thomas Oberender und Yvonne Büdenhölzer, die Leiterin des Theatertreffens, nicht zulassen bei der Geburtstagsparty im Festspielhaus.

50 Jahre Theatertreffen: War da sonst nichts? Wo sind die Zeitzeugen, die Akteure, warum wurden sie nicht eingeladen? Wer oder was sollte hier gefeiert werden? Oberender wählt den einfachen Weg, wenn er sagt, Theater sei immer nur Gegenwart. Wie kann man so geschichtsvergessen sein, die eigene Bedeutung so herunterspielen! Ein seltsam verrutschter Abend: Jürgen Kuttner unterhält glänzend mit seiner Schnipselshow, mit Heiner Müller, Cindy und Bert und Joseph Beuys. Nur haben diese handverlesenen „bemerkenswerten“ Fernsehinszenierungen mit dem Theatertreffen nichts zu tun. Moderatorin Sandra Hüller, brillant in der Jelinek-Inszenierung der Münchner Kammerspiele, wirkt im roten Ballkleid sehr nervös und erleidet einen Schwächeanfall. Der an eine Tschechow-Figur erinnernde Theaterarzt hat seinen Auftritt. Nach einer Pause kann sie weitermachen. Jürg Kienberger intoniert am Klavier das „Danke“ aus Christoph Marthalers „Murx“-Abend.

Eigentlich feierte hier die Volksbühne in der ehemaligen Freien Volksbühne, bloß DJ Lars Eidinger kam vom Lehniner Platz. Er hatte immerhin die Rolling Stones auf dem Plattenteller, die kürzlich auch ihr erstes halbes Jahrhundert feiern konnten. Rüdiger Schaper

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