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Berlinische Galerie: Fotografien von Tobias Zielony: Sonne und Sirenen

Von der Kurfürstenstraße nach Kalifornien: Der Fotograf Tobias Zielony hat die klassische Sozialreportage der 70er Jahre in eine neue Kunstform überführt. Die Berlinischen Galerie zeigt jetzt seine Bilder aus den Serien "Trona" und "Jenny Jenny".

Danny leuchtet. Wenn die junge Frau im weißen Spitzentop an ihrer E-Zigarette zieht, erstrahlt die Spitze wie ein Leuchtturm. Die moderne Sirene, die statt Seeleuten Autofahrer anlockt, setzt sich mit einem ganzen Partylampenarsenal in Szene. Dazu gehört ein LED-Schlauch für Schlangentänze, der auch um einen Baum gelegt werden kann. Danny prostituiert sich am nächtlichen Waldrand. Ob in Berlin oder anderswo, will Dannys Fotograf Tobias Zielony nicht sagen. Eigentlich – bis auf das fahle Leuchten der Bilder – ist gar nichts klar bei seiner Serie „Jenny Jenny“ in der Berlinischen Galerie. Vielleicht sehen wir Danny, den beiden Jennys und den anderen Frauen auf Zielonys Porträts ja nur bei einer raffinierten Performance zu. Ist Prostitution das nicht sowieso? Oder das genaue Gegenteil: Kontrollverlust, Kapitulation, Selbstzerstörung?

„Ich weiß nicht, was Prostitution ist“, sagt Zielony. Und lässt die Bilder sprechen. Im Fall von „Danny“ lässt er sie auch laufen. Ihren illuminierten Balztanz hat er in schnellem Rhythmus fotografiert und projiziert den Zwitter zwischen Stummfilm und Diaserie mit zehn Bildern pro Sekunde. Die Bewegung fließt und stockt. Aufgehobene Zeit. Statt Sozialreportage Serpentinentanz – ähnlich Max Skladanowskys handkoloriertem Kurzfilm von 1895.

„Jenny Jenny“ ist eine Serie voller Widersprüche und Gegenläufigkeiten. Romantische Ideen vom Hurendasein reiben sich an einer knallharten Wirklichkeit. Selbst im Fall der experimentellen „Danny“-Animation, in dem die (ohnehin nie direkt gezeigte) Sexarbeit im Licht- und Farbenspiel zu verschwinden scheint, holt uns Zielony immer wieder auf den harten Asphalt unter Dannys Bleistiftabsätzen zurück.

Der Fotograf erzählt, dass auch die Hängung der 38 Fotos eine ästhetische Gratwanderung war: „Manchmal waren mir die Farbklänge von Bild zu Bild einfach zu schön.“ Zielony und Kurator Ulrich Domröse ist es gelungen, ungewollte Synergieeffekte zwischen den Abzügen zu vermeiden. Viel kreideweiße Wand ist in den beiden zentralen Ausstellungsräumen zu sehen, von der Decke strahlt ein fast störend kaltes Licht. Wärmen kann man sich nur an den offenen Gesichtern der Frauen. Da wird nichts versteckt. Selbst die antrainierte Pose sagt: Schau her, das gehört zum üblichen Programm.

Eine der Frauen hält ein aufgeschlagenes Buch in die Kamera. Zwei Porträt-Seiten aus „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ markieren nicht nur den zeitlichen, sondern vor allem den bildästhetischen Abstand zwischen den Sozialreportagen der 70er Jahre und Zielonys Arbeitsweise. Der Künstler, 1973 in Wuppertal geboren, maßgeblich von Timm Rautert an der Hochschule für Grafik und Bildkunst in Leipzig geprägt, inzwischen weithin gerühmt für seine illusionslosen Serien über Jugendgruppen in Europa und den USA, steht prototypisch für seine Zeit.

Ist es Berlin? Aus der Serie "Jenny Jenny".
Ist es Berlin? Aus der Serie "Jenny Jenny".

© Tobias Zielony

Spätestens in den 80er Jahren kam die dokumentarische Fotografie in die Krise. Gleichzeitig wurde das Medium für die Kunst entdeckt. Fotografen wie Tobias Zielony oder Wolfgang Tillmans, die das Dokumentarische und das Inszenierte fusionieren, stellen heute in Museen aus. Auch Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie, will trotz knappen Etats das Medium Fotografie stärken, wobei „Ausstellungen immer das Sammlungsinteresse reflektieren“, wie Köhler sagt, der bereits Ikonen dokumentarischer Fotografie wie Nan Goldin und Boris Mikhailov im Haus ausgestellt hat.

Neben diesen beiden ist auch Zielony in der Kollektion vertreten. Die 2006er- Serie „Big Sexyland“ über Berliner Stricher lag aber thematisch zu eng am „Jenny Jenny“-Zyklus. Stattdessen flankiert jetzt „Trona“ (2008) – ebenfalls in der Sammlung – die Ausstellung. In Trona, einem Kaff in der kalifornischen Wüste, wird die Horrordroge Crystal Meth produziert. Zielony zeigt den (Drogen-)Alltag der Kinder von Trona und die Selbstbehauptung derer, die noch aufrecht stehen können. So unterschiedlich die beiden Serien der aktuellen Ausstellung aussehen – im brennenden Sonnenlicht der Wüste und in der nächtlichen Kurfürstenstraße (wo die meisten neuen Bilder entstanden sind) sind die Verhältnisse prekär. Die Chancen auf Bildung und Wohlstand sind klein, der Überlebenswille ungebrochen.

Wie bei den kanadischen Ureinwohnern Manitobas oder den Camorra-Kindern im neapolitanischen Vele, die Zielony schon fotografiert hat, sind kulturelle Wurzeln weitgehend gekappt. Neue Selbstbilder müssen her. Um seinen Stolz zu wahren, spielt man sich und anderen das vor, was man aus der globalen Popkultur, aus Filmen oder der Sexindustrie kennt. Identität ist ja nichts Festes. Gebärden sind Spiegel. Zielony nimmt den Mix aus individuellen und global gültigen Zeichen auf.

„Ohne Empathie geht’s gar nicht“, sagt der Fotograf. Einmal mehr belegt „Jenny Jenny“ die erstaunliche Nähe, die Zielony zu seinen Protagonisten herzustellen versteht. Gleichzeitig spürt man die für gute Bilder unabdingliche Distanz. Routine und Erschöpfung, Abenteuer und Augenringe, Träumen und Trauern – die Bilder sind Gefäß für eine ganze Skala an Emotionen. Der Künstler, der hier seine vielleicht letzte Serie auf klassische Fotoemulsion gebannt hat und auf Extralampen wieder weitgehend verzichtet, entlockt dem Kunstlicht der Kurfürstenstraße eine gewaltige Bandbreite an Farben, innen wie außen, bei Porträts, Stillleben und Häuseransichten. Eisblaues Beton, graugrüne Halbschattengesichter, rot glühende Haut. Ein Leben ohne Farbstich ist denkbar, aber nur schwer zu ertragen.

bis 30. September, www.berlinischegalerie.de, Katalog € 24,80

Jens Hinrichsen

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