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Kultur: Bernhard Schlink: Selbs Mord: Schuldige ohne Strafe

Am deutschen Wesen kann man nicht genesen, aber über das Gewesene in Deutschland kann man Bücher schreiben. Das haben schon viele getan, doch war in den letzten Jahren dabei keiner so erfolgreich wie Bernhard Schlink.

Am deutschen Wesen kann man nicht genesen, aber über das Gewesene in Deutschland kann man Bücher schreiben. Das haben schon viele getan, doch war in den letzten Jahren dabei keiner so erfolgreich wie Bernhard Schlink. Sein Roman "Der Vorleser" wurde 1997 zum internationalen Bestseller. Freilich schrieb Schlink schon lange davor über Wesen, Gewesenes und Deutsches, und zwar Krimis, die in der Weltöffentlichkeit allerdings vergleichsweise wenig Beachtung fanden. Das hat sich nun geändert.

"Selbs Mord", der eben erschienene abschließende Band einer 1987 begonnenen Trilogie, liegt, kaum ausgeliefert, bereits auf den oberen Rängen diverser Hitlisten und also auf vielen, vielen Nachttischen. Das ist schön für den Autor, aber merkwürdig. Denn "Selbs Mord" ist weder ein guter Krimi noch ein guter Roman. Es geht darin erwartungsgemäß um Vergangenheiten: um die deutsche, die deutsch-deutsche und um die Gerhard Selbs, der als ehemaliger Nazi-Staatsanwalt seit seinem ersten Auftritt in "Selbs Betrug" mit seinem Gewissen hadert. Außerdem geht es um Gegenwarten: um die deutsche, die deutsch-deutsche und um die Gerhard Selbs, den neben unangenehmen Erinnerungen auch akute Altersdepressionen quälen.

Zusammengehalten wird das Ganze von einem "Fall", der in seiner Konstruiertheit selbst den elaboriertesten "Tatort" weit hinter sich lässt. Privatdetektiv Selb soll im Auftrag einer Privatbank nach einem jüdischen Teilhaber suchen, der unter Hitler vertrieben und um seine Anteile an der Bank gebracht worden war. Der Betreffende ist zum Glück bald gefunden, längst tot und deshalb nur in der ersten Hälfte von Belang. In der zweiten Hälfte geraten die Nachfahren dieses Teilhabers mit ins Spiel und die Russenmafia und Geldwäschereien und ein bornierter Ex-Stasi-Mann, der behauptet, Selbs Sohn zu sein, und eine wackere Dame, die die Ehre jener von "drüben" rettet, indem sie die Aufrichtigkeit und die Unerschrockenheit schlechthin darstellt.

Schlinks Roman funktioniert nach dem Muster "Nur die Schuldigen kommen ungestraft davon". Das Nachsehen haben am Schluss die Guten, die aber so gut auch wieder nicht sind, weil der Autor sich eifrig darum bemüht, grau zu pinseln, was andere schwarz-weiß malen würden. Bei ihm ist jeder Opfer und Täter zugleich: der Bankier, der Geld scheffelt und gleichzeitig erpresst wird, der Erpresser, der ja nur Geld will, das ihm zusteht, usw. Schlink ist ein Verfechter des Sowohl-als-auch und verliert darüber jeden Sinn für Dynamik und Dramaturgie.

Statt einer Handlung präsentiert er Themen, die er mit der Unerbittlichkeit und der durchaus zweifelhaften Objektivität eines Geschichtslehrers abarbeitet. Was nach einem zögernden Auftakt an Spannung entsteht, verpufft in einem verfrühten Showdown.

Vergeblich hofft man auf ein Fünklein Ironie, das diesem Roman nicht nur seine Erdenschwere nehmen, sondern auch mehr Glaubwürdigkeit verleihen würde. Doch wenn sich der herzkranke Selb nicht gerade mit der Moral an sich herumschlägt, macht er Urlaub in Sardinien und meditiert neben seiner sonnenbadenden jungen Freundin über die Liebe im Alter - auch das kein Zuckerschlecken und in Selbs Version reichlich uninspiriert.

Apropos Alter: Wann spielt dieser Krimi eigentlich? Jedenfalls nicht im Jahr 2001. Dann wäre Selb, der nun "über siebzig" ist, bei Kriegsende nämlich gerade mal Anfang zwanzig gewesen. Folglich müsste er knapp nach dem Kindergarten mit dem Jura-Studium begonnen und später unter dem Talar des Staatsanwalts noch kurze Hosen getragen haben. Ob er wohl deshalb ständig erkältet ist?

Sacha Verna

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