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Kultur: Beruf: Realist

Ein Salut für den Maler Matthias Koeppel, der zu seinem 65. Geburtstag mit einer Retrospektive gefeiert wird

Nun ist er also fünfundsechzig. Ein Datum zum Feiern, nicht mehr. Matthias Koeppel feiert gern und feiert gut, die Anlässe finden sich. Ein Abschied aus dem Beruf wird nie dazugehören. Sein Beruf,seine Berufung: Realist. So einer ist unverzichtbar in einer Stadt, wo der Realismus als politische Tugend sich in permanenter Krise befindet. Berlin, die Stadt der Illusionen und Luftschlösser, kann Koeppel nicht „in den wohlverdienten Ruhestand“ entlassen.

Denn die Zeit, die unerbittliche, deren flüchtigen Mantel festzuhalten er sich schon früh verschrieben hat, hält keinen Augenblick still. Das rollende Panorama der Geschichte zieht vorüber, kaum dass wir mit dem Zuschauen mitkommen. Die Zeit fährt fort in ihrem Mahlwerk, dreht das große Rad der Fortuna, erschafft und zerstört mit jedem Tag eine neue Wirklichkeit. Es mag Plätze auf der Welt geben, wo idyllische Fassaden diese Wahrheit verstellen – Berlin gehört nicht dazu. Berlin hält als Künstler nur aus, wer mit einem so unruhig-ungebärdigen Modell auskommt.

Berlin und Koeppel haben sich vor gut fünfzig Jahren gefunden. Ein Jahrzehnt brauchte die Stadt noch, bis sie den jungen Hamburger vom Kopf auf die Füße stellte, von geschmackvoll-abstrakten Farbtafeln hin zum Hineingreifen ins volle Menschenleben. Dann war der Realist da, Zeichenstift und Pinsel in der Pranke des Löwen. Der konnte auch brüllen (lyrisch, versteht sich) auf „Starckdeutsch“, Koeppels unsterblicher Erfindung, deren Ruhm über die Grenzen Berlins viel früher hinausdrang als die Botschaft, der Sprachgewaltige sei von Haus aus ein bildender Künstler.

Und heute? Da steht er in der Landschaft, wie eine seiner Figuren, die noch dem weitesten Horizont und dem gewaltigsten Himmel trotzen. Unbeirrbar sein Adlerauge, überwältigend sein Fleiß. Unstillbar sein Heißhunger auf Stadt, Land, Fluss, bevölkert von Wesen aus Fleisch und Blut. Und unbestechlich sein Anspruch, die Wirklichkeit in der Camera Obscura seiner Imagination auf immer neue, verblüffende Weise zusammenzusetzen.

Er ist ein großartiger Chronist. Damit ist nicht die Reportage gemeint, sondern die künstlerische Bewältigung des Phänomens Zeit. Ihm gelingt die Verdichtung des geschichtlichen Augenblicks in einer Szene, welche stellvertretend für die widersprüchliche Fülle der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ die Sache auf den Punkt bringt. Wer will, kann auf Koeppels Bildern auch „fotografische“ Details entdecken. Aber er hat sich von der Fotografie nicht einschüchtern lassen. Er hat darauf beharrt, dass die Malerei ein stolzes Lebensrecht hat gerade angesichts der Inflation von fotografischen und elektronischen Medien. Die führen die Realität im Wappen, in Wahrheit aber sind sie oft viel weiter weg von ihr als das scheinbar künstliche Gewerbe, vermittels Öl auf Leinwand Realität vorzugaukeln.

Berlin, dazu verurteilt, immerfort zu werden und niemals zu sein (Karl Scheffler, 1910), ist Koeppel dankbar, soweit dies ein solches Wesen überhaupt kann. Denn er hat die Stadt auf den Begriff gebracht: ihre „Schönheit hässlicher Bilder“, ihre drastische Körperlichkeit, ihre Vulgarität. Aber auch ihre tragische Geschichtlichkeit und die Melancholie unterm märkischen Himmel. Metropolis, auf Sand gebaut, sei unbesorgt: Dein Maler wacht.

Unter dem Titel „Berlin ist immer im Werden ...“ zeigt das Haus am Waldsee (Argentinische Allee 30, Zehlendorf) ab heute alte und neue Koeppel-Bilder, bis 16. Februar, Di–So 12 bis 20 Uhr.

Christoph Stölzl

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