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Kultur: Besiegt, besetzt, befreit

Das Deutsche Historische Museum Berlin fragt nach dem „Krieg und seinen Folgen“

„Wollt Ihr den totalen Krieg?“, schrie Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast. Die Niederlage von Stalingrad trieb das NS-Regime zum Äußersten. Zwei Jahre und drei Monate später war der Krieg vorbei. Es war ein „totaler“ – total in seinem Ausmaß, seinen Verheerungen und auch in seinen Folgen. Erst 50 Jahre nach Kriegsende konnte der „Spiegel“ kurz und prägnant titeln: „Besiegt, besetzt, befreit“. Um den Begriff der „Befreiung“ hatte die BRD lange ringen müssen, bis zur legendären Rede Richard von Weizsäckers zum 8. Mai 1985. Erst jetzt gehört es in den allgemeinen (und von allen politischen Lagern geteilten) Sprachgebrauch, die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht nicht länger als Katastrophe zu bezeichnen, sondern als das, was es für die Mehrzahl der Deutschen bedeutete: eben als Befreiung.

Für die Mehrzahl, aber nicht für alle. Im Osten folgte auf die eine Diktatur die nächste. Wie immer man die DDR beurteilen mag – die Folgen des Krieges jedenfalls gingen in der von der Roten Armee besetzten und dann zum ostdeutschen Teilstaat aufgebauten Zone erst mit der Wende von 1989/90 zu Ende.

Die doppelte deutsche Nachkriegsgeschichte ist der rote Faden, der sich durch die gestern eröffnete Sonderausstellung des Deutschen Historischen Museums zieht. Überschrieben ist sie mit „1945 – Der Krieg und seine Folgen“, der Untertitel „Kriegsende und Erinnerungspolitik in Deutschland“ verdeutlicht, dass es weniger um die Darstellung der historischen Ereignisse geht als um ihre Bewertung. Bis 1990 spiegelte sich deren politischer Gehalt wesentlich in der deutschen Teilung. Zwei Parallelgeschichten werden also im DHM erzählt. Oder doch nicht ganz, denn die DDR stand von Anbeginn auf der Seite der sowjetischen Siegermacht, von der sie ihre Existenz und ihre Legitimation bezog. Eine geschichtspolitische Diskussion konnte es in der DDR, anders als in der alten Bundesrepublik, nicht oder nur in verschlüsselter Form geben.

Dieses Ungleichgewicht ist, bei aller Sorgfalt der Objektauswahl, nicht zu überspielen. Es ist eine vorwiegend westdeutsche Ausstellung, die die Kontroversen der bundesrepublikanischen Geschichtsrezeption spiegelt. 500 Objekte aller Art haben DHM-Kurator Burkhard Asmuss und sein Team zusammengetragen. Erstaunlich viel stammt aus Privatbesitz – ein Indiz dafür, dass der Krieg und seine Folgen zwar Geschichte, aber für die Betroffenen eben noch keine Vergangenheit geworden sind. Schon die Trümmerstücke der 1940 zerstörten Kathedrale von Coventry gleich zu Beginn der Ausstellung sprechen, indem sie auch an die Dresdner Frauenkirche denken lassen, von Gegenwart. Jene Gegenwart, die als Folge der Ereignisse des NS-Terrors und des von ihm angezettelten Krieges bestimmend ist und bleiben wird.

Vergangenheit sind die Kämpfe, die in Westdeutschland ausgefochten wurden, am vehementesten in der 68er-Zeit. Da kamen die Verdrängungen zur Sprache, die die frühe Bundesrepublik begleiten – und die heute als sogar notwendige Voraussetzungen der Integration von Millionen von NS-Parteimitgliedern wie auch von Millionen von Flüchtlingen gelten dürfen. Eine wichtige Rolle spielt in der Ausstellung in diesem Zusammenhang der Ost-West-Konflikt, der unmittelbar nach Ende des Krieges einsetzte, und der beide deutschen Staaten auf Jahre hinaus der Notwendigkeit der eigenen Vergangenheitsbewältigung enthob. Die bunten Plakate, die für ein vereintes Europa im Zeichen des Marshall-Planes warben, lassen ahnen, dass damit auch eine graue Gegenwart überspielt werden sollte.

Denn natürlich war die unmittelbare Nachkriegsgegenwart grau – nicht nur auf den eindrucksvollen SchwarzWeiß-Fotografien, die im Deutschen Historischen Museum die Zwischenbilanz der Geschichte erzählen. Denn die Objekte der Ausstellung für sich allein können das nicht vermitteln. Die Gegenwart war grau für die Ausgebombten, für die Vertriebenen, grau für alle, die die Folgen des Hitlerschen Eroberungswahns zu tragen hatten. Davon sprechen auch die Plakate und Broschüren zum Wiederaufbau, auf denen ein „Nicht vergessen“ in Bonn zu lesen ist oder ein „Gebt ihnen eine neue Heimat“ in Chemnitz. Davon sprechen ebenso die sparsamen, aber umso wirkungsvoller einbezogenen Kunstwerke eines Karl Hofer oder eines Otto Dix.

Die mitten durch Deutschland gehende Ost-West-Teilung führte in beiden deutschen Staaten zur Wiederbewaffnung, nur ein Jahrzehnt nach Kriegsende. In der DDR durfte es darüber keine Diskussion geben, aber die Propagandaplakate, die die Neuausrichtung der Politik begleiteten, sprechen hier wie dort eine verräterisch ähnliche Sprache. Es sind überhaupt die optischen Signale, die einander ähneln. „Fliegt in die Länder des Friedens“, heißt es auf einem Plakat von 1960 aus der DDR. Die Bildsprache aber ist, um einen (West-) Begriff dieser Jahre zu benutzen, gesamtdeutsch.

15 Jahre nach der Wiedervereinigung ist auch das Erinnern an den zweiten Weltkrieg und seine Folgen gesamtdeutsch geworden. Der 8. Mai 1945 war der Tag der Befreiung. Dass auch diese Bewertung eine gesamtdeutsche werden konnte, gehört zu den Überraschungen, die die Geschichte hervorbringt, im Schlechten, aber eben auch im Guten.

„1945 – Der Krieg und seine Folgen“, Deutsches Historisches Museum, Berlin, Unter den Linden 2, bis 28. August. Geöffnet tägl. 10 bis 18 Uhr (1. Mai geschlossen).

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