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Kultur: Besoffen vom Geld

THEATER

Am Anfang steht der nackte Adam im Blitzlichtgewitter. Die Zuschauer, deren Sitze die Spielfläche im Berliner Theater zum westlichen Stadthirschen einfassen, ahnen: Hier soll eine universelle Geschichte erzählt werden, vom Menschen und seiner Deformation durch die Gesellschaft. Als das Licht angeht, entpuppt sich Adam als Aktienbroker, dessen Selbstbewusstsein ebenso knittrig geworden ist wie der schlecht sitzende Anzug, in den er sich wirft. Jemand hat ihn eingesperrt in eine Art Ausnüchterungszelle für Leute, die sich an der Marktwirtschaft besoffen haben. Abgeschnitten von seiner Lebenswelt in den glitzernden Wolkenkratzern, kämpft er mit Versatzstücken aus der Betriebspsychologie gegen die Leere, die ihn in der Einsamkeit überfällt. Obschon von den weltweiten Datenströmen abgeklemmt, trägt der Mann die Phrasen weiter in sich, wie Erreger einer Geisteskrankheit mit tödlichem Ausgang.

Marc-Oliver Kampe, der den Broker spielt, droht, den Besuchern des Stücks Erreger auf den Leib zu rücken. Jedem blickt er tief in die Augen. Doch er übertritt nie die Linie, welche die quadratische Spielfläche begrenzt. Auch den Blick wendet er ab, bevor es peinlich wird. Überhaupt wird es für die Zuschauer bei diesem Gastspiel des Landestheaters Tübingen selten ungemütlich. Zwar fehlt eine Bühne, die Inszenierung von Sylvia Sarnow wirkt trotzdem wie ein Guckkasten, in dem die Pathologie des Kapitalismus ausgestellt wird (Kreuzbergstraße 37, bis 7. September, jeweils 20.30 Uhr, Kartentelefon 030-7857033). Wer Kampes – zugegeben virtuos gespielten – Händlergesten zusieht, freut sich, selbst nicht infiziert zu sein. Dort der kranke Manager, hier wir! Albert Ostermaier hat den Text des Theaterstücks im Jahr 2000 geschrieben, dem Jahr, an dessen Ende die New Economy zusammenbrach. Drei Jahre später mag vielen die Distanz zu dem Händler größer geworden sein. Will das Theater heute eine universelle Geschichte erzählen, müsste es genau diesen Abstand durchbrechen.

Steffen Kraft

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