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Na, warte. Johan Reuter, Raymond Very, Peter Hoare, Jochen Schmeckenbecher und Angela Denoke haben viel Zeit. Foto: Barbara Gindl, dpa

© dpa

Kultur: Besser scheitern

Christoph Marthaler und Anna Viehbrock bremsen bei den Salzburger Festspielen Leos Janaceks Oper „Die Sache Makropulos“ aus

Prolog über den Kuppeln Salzburgs, auf denen – hinter dramatischen Wolkenformationen hervorbrechend – Sonnenflecken tanzen: Christoph Marthaler und Anna Viebrock sitzen eingekeilt von einem berühmten plastischen Chirurgen und einem regierungsberatenden Humangenetiker in einer Diskussion zum Thema „Ewige Jugend - Ewiges Leben“. Wie immer wirken sie fremd in der Welt der Berufseloquenten. Sie blinzeln in die Sonne, und es ist schwer auszumachen, wo sich ihre Gedanken gerade befinden. Obwohl es doch um ihre Inszenierung gehen soll.

Leos Janaceks „Die Sache Makropulos“ ist die letzte Opernpremiere der diesjährigen Interimsspielzeit von Intendant Markus Hinterhäuser, dem es gelungen ist, ein Erfolgsteam vergangener Tage erneut an die Salzach zu verpflichten. 1998 wurden Marthaler und Viebrock hier mit „Katja Kabanowa“ gefeiert. Auch ihre Protagonistin Angela Denoke ist wieder dabei und verkörpert die Opernsängerin Emilia Marty, die, Opfer eines Experiments, bereits seit 337 Jahren lebt – oder nicht sterben kann.

Es sei wohl ein Drang des Menschen, länger zu leben, lässt sich der Humangenetiker vernehmen. Von Rom bis heute habe die durchschnittliche Lebenserwartung von 18 auf 100 Jahre zugenommen. Das sei bislang keiner Spezies gelungen. Ihm tue mit knapp 60 schon die Hüfte weh, gnatzt Marthaler zurück. Jahrhundertelang weiter Opern inszenieren – um Himmels willen! Wenn man eins werde mit seinem Selbstbild, könne man in Frieden mit der Welt leben, lächelt der plastische Chirurg hilfsbereit. Anna Viebrock rückt die dicke Brille zurecht und betont, dass sie ja die Außenseiter liebe, die aus der Zentrifuge Gefallenen. Und dass die Bühne des Großen Festspielhauses mit ihren 24 Metern Breite erst einmal gefüllt werden müsse, mit dem Nachbau eines Pariser Gerichtssaals. Der Humangenetiker zeigt Mitleid: Da man nichts aktiv vergessen könne, wäre es schlicht zum Wahnsinnigwerden, 300 Jahre zu leben. Marthaler rafft sich auf, verteidigt das Recht jeder Generation, zu ihrer Auffassung von Kunst zu gelangen und dann abzutreten. Der Rest ist Applaus.

Auch am Abend, auf der Riesenbühne, wird es einen Prolog geben. Auf ein Zigarettchen treffen sich eine gelangweilte junge Frau und eine schelmisch ins Leben kneisternde winzige Oma. Eine Schande sei es, dass der Mensch nur so kurz lebt, pustet die Gelangweilte in den Raum. Wichtige Menschen müssten Jahrhunderte leben. So lange Strümpfe stopfen? Nein danke, gestikuliert das Mütterchen.

Es ist ein harmloses Spielchen, das Marthaler aus der sarkastischen Komödie von Karel Capek herauslöst, die Janacek als Vorlage für seine vorletzte Oper diente. Ihre Härten und Brüche, ihre kühle Modernität kurzgeschlossen mit einer sich daran noch schonungsloser entzündenden Romantik, dieses ruhelose, quecksilbrige Treiben vermag Marthaler an diesem pausenlosen Abend nicht zu fassen. Seine Protagonisten hippeln, wenn die beben sollten.

Das Eingesunkene des Marthaler-Universums, die Vergangenheit, die all seine Figuren beherrscht, wird zu einem lästigen Anhängsel. Man will es loswerden wie einen hinderlichen Hut oder einen halsstarrigen Schal. So zuckt es dann und wann vor den dunkelbraunen Holzpaneelen, und auf den Gerichtsbänken bezieht lautlos eine Kammer Position und verschwindet, kommt und verschwindet, bis sie schließlich einschläft, unter die Tische rutschend. Das ist klassischer Marthaler- Proviant, dessen Verfallsdatum einmal genau untersucht werden sollte.

Wer Perfektion erreicht, wird kalt, erklärt die sich durch die Jahrhunderte singende Emilia Marty. Kunst bedeute nur etwas, solange man an ihr scheitern kann. Im Besser-Scheitern hat es Marthaler weit gebracht. Doch in Salzburg will ihm dazu wenig einfallen. Ist es die Liebe des Musikers Marthaler zu Janacek, die „Die Sache Makropulos“ so glatt abrollen lässt, auf einen unwidersprochenen, aber müden Erfolg zu? Esa-Pekka Salonen am Pult der Wiener Philharmoniker sekundiert da nur zu gerne. Er sucht nach großen, kräftigen Bögen, nach triumphierender Statik, wo alles veränderlich ist und ungewiss, bis auf die raren Momente der Erinnerung.

Die Erregungen der Seele wirken wie durch ein luxuriöses Mittelchen gedämpft, leichter zu ertragen und etwas pummelig. Den Sängern kommt das durchaus zupass, sie genießen es, musikalisch von der Leine der Charakterdeklamation gelassen zu werden. Das Ensemble klingt wunderbar, wenn auch etwas beliebig umrissen. Angela Denoke in der Primadonnenrolle der Marty setzt jeden Ton mit bewundernswerter Klarheit – doch das Drama ihrer Figur bleibt sie schuldig. Da muss man gar nicht bis zu Anja Siljas bewegender Deutung dieser ewigen Lulu denken. „Sterben oder weggehen, das ist alles gleich, es ist gleich“, singt die Marty, als sie einsam und überdrüssig auf eine Verlängerung ihres Lebens verzichtet. Marthaler lässt sie gehen. Ein Zigarettchen glimmt auf – und man verlässt das Festspielhaus sterblicher denn je. Die Nacht ist kalt.

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