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Kultur: Besuch bei der alten Dame

Laura Horelli zeigt neue Arbeiten in der Galerie Barbara Weiss

Die Namen ihrer Verwandten verschweigt die alte Dame. „Mein Mann, meine Tochter“, erklärt ihre raue Stimme aus dem Off die Fotografien, die ein Beamer auf die Leinwand wirft. Den rumänischen Diktator dagegen nennt sie fast vertraulich „Mister Ceausescu“. Die alte Dame ist die Nähe zur Macht gewohnt und darin geübt, ihr Privatleben zu schützen: Die Leinwand zeigt sie als Frau eines finnischen Diplomaten, wie sie einst Willy Brandt die Hand schüttelte, den finnischen Präsidenten auf dem Bukarester Flughafen begrüßte oder einfach in Hut und Mantel vor dem Zuckerhut in Rio stand. Heute ist sie Rentnerin und berichtet ihrer Enkelin, der Künstlerin Laura Horelli, aus ihrem Leben – in deren Video „You Go Where You’re Sent“, das in der Galerie Barbara Weiss läuft (8000 Euro, fünf Exemplare).

Es ist eine fesselnde Erzählung. Horelli hat aus den Familienalben Fotos ausgesucht, die ihre Großmutter bei offiziellen Anlässen und in privaten Momenten zeigen, und die Abgebildete gebeten, die Szenen zu kommentieren. So ist eine exzellent bebilderte Oral History entstanden: Das Video führt in die Zeitläufte des Kalten Krieges, verdeutlicht, wie eng sich Öffentliches und Privates nicht nur in Botschafterkreisen durchdringen, und wirft ein Schlaglicht auf die Geschichte der Frauenarbeit. Denn Horellis Großmutter ist auch am Operationstisch zu sehen: Sie arbeitete als Ärztin. Allerdings nur im Nebenberuf – die Verpflichtungen an der Seite ihres Mannes gingen stets vor.

Schnittstellen zweier Biografien

In ihrem 20-minütigen Loop bündelt die 1976 in Helsinki geborene Künstlerin wichtige Stränge ihrer früheren Arbeiten. So dokumentierte sie auf der Venedig-Biennale 2001 mit einer Weltkarte und collagierten Porträts die wenigen amtierenden Staatspräsidentinnen. Ein anderes Mal thematisierte sie den räumlichen Abstand, den Menschen an Bushaltestellen und Ladenkassen unwillkürlich einhalten, oder porträtierte im Ruhrgebiet junge Erwachsene in ihrer Freizeit. Horellis Arbeiten handeln von Faktoren, die soziokulturelle Identitäten prägen, und dem Freiraum, den sie für selbstbestimmtes Handeln lassen. Die Frage, wie die Familiengeschichte die Identität der Künstlerin beeinflusst hat, liegt da nahe. Antworten deutet Horelli an: Ihr Video beginnt mit einer Schwarzweißaufnahme von 1936, als die Großmutter unter Hakenkreuzfahnen mit einer finnischen Gymnastikgruppe am Rahmenprogramm der Olympiade in Berlin teilnahm. Heute lebt die Enkelin hier. Zwei aktuelle Fotografien im Entrée der Galerie geben den Blick aus Horellis Wohnung und der ihrer Großmutter wieder. Zufall oder nicht: Großmutter wie Enkelin schauen herab auf Viertel, die von historischen Konflikten zeugen – auf den Straußberger Platz in Friedrichshain und die nach dem General Mannerheim benannte Straße in Helsinki (2500 Euro).

Horelli hat außerdem grüne Sessel, ein Sofa und ein Tischchen fotografiert (1500 Euro). Hier haben Großmutter und Enkelin während der Interviews gesessen: nah genug beieinander, um gemeinsam Fotos anzuschauen, und doch in kritischer Distanz – das Mikrofon der Jüngeren zielt auf den Platz der Älteren. So weit über das Verhältnis der beiden aufklärt, kann der Betrachter nun seine eigene Haltung zu der alten Dame finden. Und in dem Video all die Details entdecken, die Geschichte lebendig machen und neue Geschichten assoziieren lassen: der nackte Kinderleib auf dem Operationstisch der Ärztin oder das Strahlen auf dem Gesicht der Diplomatengattin, als sie Willy Brandt die Hand reicht.

Galerie Barbara Weiss, bis 20. Dezember, Zimmerstraße 88/89; Dienstag bis Sonnabend 11 – 18 Uhr.

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