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Kultur: Besuch beim Imam in Brooklyn Eine Doktorandin untersucht das Selbstverständnis afroamerikanischer Muslime

Bedford-Stuyvesant ist nicht vornehm. Hier wohnen die, die es im Leben nicht weit gebracht haben.

Bedford-Stuyvesant ist nicht vornehm. Hier wohnen die, die es im Leben nicht weit gebracht haben. Weil sie arm sind. Und vor allem, weil sie schwarz sind. Der richtige Ort für Katrin Simon, um Antworten zu finden. Denn in dem heruntergekommenen Viertel im New Yorker Stadtteil Brooklyn liegt die Moschee von Imam Siraj Wahhaj, einem charismatischen afroamerikanischen Geistlichen.

Sechs Monate lang hat Katrin Simon Imam Siraj Wahhaj getroffen, um in Gesprächen die Probleme, die Einstellungen und das Selbstbild der drei bis vier Millionen schwarzen Muslime in den USA zu verstehen. Denn in ihrer Promotion beschäftigt sich die Islamwissenschaftlerin mit der Frage, wie sich afroamerikanische Muslime in der gesamtmuslimischen Gemeinschaft der USA positionieren, welche Themen sie beschäftigen und wie sie von den anderen, eingewanderten Muslimen in den USA wahrgenommen werden.

Für die Fragen von Katrin Simon, Doktorandin an der Graduiertenschule Muslim Cultures and Societies der Freien Universität Berlin, ist Imam Wahhaj ein nahezu perfekter Gesprächspartner. Denn der Lebensweg des muslimischen Geistlichen, der einst als Baptist aufwuchs und schließlich zu einem der prominentesten islamischen Theologen in den USA aufstieg, spiegelt die spirituellen Lebensläufe vieler afroamerikanischer Muslime wider. „Der Islam ermöglicht vielen Schwarzen, erstmals auf etwas stolz zu sein. Stolz auf etwas, das sie selbst gewählt haben“, erklärt Katrin Simon. Der Benachteiligung wegen ihrer Hautfarbe können schwarze US-Bürger selbst heute immer noch nicht entkommen. Den islamischen Glauben hingegen können sie aktiv annehmen und so kontrollieren, auch wenn sie damit – ihnen häufig nicht bewusst – einen neuen Grund für eine Benachteiligung auf sich ziehen, so die 31-Jährige.

Ihre Arbeit schreibt Katrin Simon im Rahmen der Graduiertenschule „Muslim Cultures and Societies“ an der Freien Universität Berlin. „Das dreijährige Promotionsprogramm widmet sich der inneren Vielfalt, historischen Wandelbarkeit und globalen Vernetzung islamisch geprägter Kulturen und Gesellschaften“, erklärt Professorin Gudrun Krämer, Direktorin der Graduiertenschule. „Das Thema ist zu umfassend für eine Disziplin.“ Im ersten Jahrgang der Graduiertenschule finden sich deshalb Vertreter verschiedener Fachrichtungen, unter anderem Historiker, Politologen, Soziologen, Anthropologen, Geographen, Afrika- und Asienwissenschaftler. Viele der derzeit 14 Doktoranden des Promotionsprogramms arbeiten dabei transdisziplinär, überschreiten die Grenzen ihrer Ursprungsfächer und verbinden wissenschaftliches mit praktischem Wissen.

Katrin Simon vereint in ihrer Arbeit Islamwissenschaft mit Erkenntnissen der Nordamerikastudien. So ist es für sie möglich, die Lebenssituation von Afroamerikanern zu analysieren und zu erklären, was sie zum Islam zieht, der am schnellsten wachsenden Religion der USA. „Der Übertritt hat häufig praktische Auswirkungen“, erklärt Katrin Simon. „Viele Afroamerikaner kommen als Muslime mit dem amerikanischen Leistungssystem sehr viel besser zurecht.“ Der Koran verbietet Alkohol und Drogen, predigt Enthaltsamkeit vor der Ehe und das Muster der funktionierenden Kernfamilie – den arbeitenden Vater, die treusorgende Mutter und Hausfrau. „Hier finden sich erstaunliche Parallelen zum konservativen Bild des American Way of Life“, sagt die Islamwissenschaftlerin. „Tatsächlich werden viele Probleme der schwarzen US-Bevölkerung durch den Übertritt zum Islam gemildert.“

Katrin Simon interessiert in ihrer Dissertation, für die sie neben Predigten und Internet-Blogs islamischer Geistlicher auch Texte muslimischer US-Wissenschaftler und selbst Hip-Hop-Texte untersuchen will, vor allem eines: Entsteht in den USA ein Islam amerikanischer Prägung? Oder wird es jenseits des Atlantiks zwischen muslimischen Afroamerikanern und den Immigranten aus muslimischen Ländern immer verschiedene Spielarten dieser Religion geben? Katrin Simons Vermutung: „Die muslimischen Gemeinschaften in den USA werden nie zusammenwachsen.“ Allerdings könne man diesen Pluralismus auch als Bereicherung sehen, spiegele er doch die Vielfalt des Islam. Sicher scheine, dass die Gemeinde der afroamerikanischen Muslime wachsen wird. Denn, so Katrin Simon: „Als Schwarzer zum Islam zu konvertieren, ist letztlich ein äußerst pragmatischer Schritt – und damit sehr amerikanisch.“ Imam Siraj Wahhaj wird das gerne hören.

Informationen im Internet unter:

www.fu-berlin.de/bgsmcs

Ortrun Huber

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