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Kultur: Beten ohne Bilder

Eine DENKMALBEGEHUNG von Michael Zajonz

Himmelsstürmende gotische Dome oder bruchsteinbewehrte romanische Dorfkirchen verkörpern auch für Nichtchristen ein Stück gebaute Heimat – und erzeugen damit Identität: lokal, regional, manchmal sogar national. Neben Burgen und Schlössern gehören Kirchen zum Grundbestand unserer Baudenkmale. Wer sich an ihnen vergreift, spürt den Zorn der Bürger. Wenn Künstler für Monumente wie den Kölner Dom etwas Zeitgemäßes beitragen, stehen sie unter besonderer Beobachtung. Der Streit um Gerhard Richters bunt-abstraktes Domfenster in Köln ist im Kern auch eine Diskussion um den angemessenen Umgang mit Kulturerbe.

Der seit 1993 alljährlich bundesweit stattfindende Tag des offenen Denkmals steht an diesem Wochenende unter dem Motto „Orte der Einkehr und des Gebets“. Viele der rund 9500 für das Publikum geöffneten Bau- und Gartendenkmale sind sakral geprägt: Kirchen, Klosteranlagen, Friedhöfe, aber auch Moscheen und Synagogen.

In Berlin widmet sich das Denkmalwochenende diesmal einem weniger massenkompatiblen Thema: dem durch Beton und Flachdach geprägten Architekturerbe der Nachkriegszeit. Sakralbauten stehen auch dabei im Zentrum. Etwa 160 evangelische und katholische Kirchen oder Gemeindezentren sind nach 1945 in Berlin errichtet worden, mehr als zwischen 1870 und 1918. Zuerst baute man sie anstelle kriegszerstörter alter Gebäude; später vermehrt auch für durch Teilung entstandene neue Gemeinden.

Seit Jahren jedoch schrumpfen die Gemeinden wieder, es bleiben ungenutzte Kirchenräume. Vom Sparzwang getrieben, denken katholische und evangelische Bistümer über Umnutzung, Verkauf oder sogar Entwidmung und Abriss nach. Das Problem betrifft nicht nur Berlin. Doch hier kam es vor zwei Jahren zum Sündenfall: Der religiösen Rückzugspolitik fielen mit St. Johannes Capistran in Tempelhof und St. Raphael in Gatow zwei signifikante katholische Kirchenbauten der Nachkriegsmoderne zum Opfer. St. Raphael, ein Alterswerk des großen Kirchenbaumeisters Rudolf Schwarz, musste einem Supermarkt weichen.

Die vom Wiederaufbauethos geprägten Betscheunen der fünfziger und sechziger Jahre erscheinen oft karg, ihre Bildausstattung illustriert nichts mehr, sondern zielt auf abstraktere Wirkungen. Architektur, die überzeugt, nicht überwältigt. Dass es im Umgang mit Bildern im Kirchenraum keine Patentrezepte mehr gibt, hat der Streit um Richters Domfenster gezeigt. Dass sich die Wertschätzung angefeindeter Architektur mit zeitlichem Abstand wandelt, beweisen längst als cool geltende profane Nachkriegsbauten wie die Kongresshalle am Alexanderplatz oder ihre westliche Schwester, das heutige Haus der Kulturen der Welt.

Als 2005 in Berlin Kirchen fielen, stellte sich heraus, dass ein Gutteil der schutzwürdigen Gebäude noch immer nicht unter Denkmalschutz steht. Inzwischen evaluiert das Landesdenkmalamt gemeinsam mit jungen Kunsthistorikern der Technischen Universität den weiterhin bedrohten Bestand. Damit aus dem Erbe von gestern Monumente für morgen werden.

Programm unter www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/denkmaltag

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