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Kultur: Beutekunst: Dürers lange Reise nach Bremen

Spärlich sind die Beispiele eines guten Endes in der unendlichen Geschichte der Beutekunst. Die Kunsthalle Bremen kann damit aufwarten: 101 grafische Blätter sind aus Moskau an die Weser zurückgekehrt und werden zurzeit im Hauptsaal der Kunsthalle präsentiert.

Spärlich sind die Beispiele eines guten Endes in der unendlichen Geschichte der Beutekunst. Die Kunsthalle Bremen kann damit aufwarten: 101 grafische Blätter sind aus Moskau an die Weser zurückgekehrt und werden zurzeit im Hauptsaal der Kunsthalle präsentiert. Im Mittelpunkt steht das unschätzbare Aquarell von Albrecht Dürer mit der Ansicht eines "Felsenschlosses", entstanden 1494 auf der ersten Venedig-Reise des 23-jährigen Künstlers. Das Blatt zählt zu den frühesten reinen Landschaftsdarstellungen, einer Gattung, als deren Schöpfer Dürer überhaupt gelten darf. Unter den übrigen einhundert Blättern der zurückgekehrten Bestände ist keines von vergleichbarem Rang; aber es sind Konvolute insbesondere von Manet und von Toulouse-Lautrec zu sehen, die die Bedeutung der Bremer Grafiksammlung eindrucksvoll unterstreichen.

Gleichwohl markieren die 101 Blätter nur einen kleinen Ausschnitt der Kriegsverluste, die die Bremer Kunsthalle erleiden musste; nebenbei das einzige unter den großen kommunalen Kunstmuseen, das seit seiner Gründung durch kunstsinnige Bürger in privater Trägerschaft verblieben ist und von der Hansestadt lediglich alimentiert wird. Diese besondere Rechtskonstruktion ist es, die den Bremern ihr spätes Glück beschert. Denn der Umstand, dass es sich bei den Bremer Grafiken juristisch um Privateigentum handelt, öffnete ein Schlupfloch durch die eng geknüpften Maschen des im Mai dieses Jahres in Kraft getretenen Duma-Gesetzes, demzufolge die beschlagnahmten Kulturgüter deutscher Herkunft "nationalisiert", also in das Eigentum des russischen Staates übergegangen seien. Zudem handelte es sich bei dem jetzt zurückgegebenen, aber bereits seit 1993 in der deutschen Botschaft zu Moskau befindlichen Blättern nicht um offiziell von den "Trophäenkommissionen" der Roten Armee beschlagnahmtes Gut. Ein einzelner Rotarmist hatte sie in die Sowjetunion mitgenommen. Schließich hat die wenn auch eher symbolische Gegengabe, die Kulturstaatsminister Naumann am 30. April in Moskau in Gestalt zweier Preziosen aus dem verschollenen Bernsteinzimmer der Zaren bieten konnte, der Rückgabe zusätzlich den russischerseits gewünschten Charakter des Austauschs verliehen.

Bremen hofft auf weitere Rückgaben; 362 Blätter, gleichfalls von einem Einzelnen gerettet und in der Petersburger Eremitage bewahrt, sind immerhin bekannt. Der Offizier Viktor Baldin, der die Blätter sowie zwei Gemälde 1945 sicherstellte, hatte die verheimlichten Schätze 1989 bekannt gemacht, intern aber seit 1973 auf die Rückgabe gedrängt - seinerzeit völlig außerhalb des politisch Möglichen. Die Quelle der Kunstwerke ist identisch: Schloss Karnzow in der Mark Brandenburg, einer der Auslagerungsorte der Bremer Kunsthalle. Dorthin war eine der "Trophäenkommissionen" der Roten Armee in der Eile des Vormarschs nie gelangt.

Was nämlich durch besagte Kommissionen beschlagnahmt wurde, gilt nach dem Duma-Gesetz als "nationalisiert" - so gröblich es auch das Völkerrecht verletzt. Russlands Präsident Putin hat allerdings ein bemerkenswertes Interesse an der Restitutionsproblematik erkennen lassen. So war seine Anwesenheit bei dem erwähnten Moskauer Austausch ein Signal. Da dem Vernehmen nach deutscherseits die politische Struktur für die Fortführung der seit langem festgefahrenen Rückgabeverhandlungen neu geordnet wird, gibt es Hoffnungen auf einen diplomatischen Neuanfang, ungeachtet der durch das Duma-Gesetz zementierten Absage Russlands.

Während das deutsch-russische Verhältnis in den zurückliegenden Jahren durch entmutigenden Stillstand gekennzeichnet war, stellt sich die internationale Konstellation in Sachen "kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter" - so der terminus technicus - deutlich verändert dar. Was im Wesentlichen ein bilateraler Streitpunkt zwischen Russland und Deutschland, zwischen Sieger und Besiegtem des Zweiten Weltkriegs zu sein schien, ist tatsächlich ein gesamteuropäisches, unendlich verknäueltes Problem. Russland selbst, als Sieger über den "Hitler-Faschismus" vermeintlich aller Legitimationszweifel enthoben, hat das schon zu spüren bekommen, seit die unabhängig gewordenen Gliedstaaten der Sowjetunion ihrerseits Rückgabeforderungen gestellt haben. Von deutschen Truppen geplünderte und auf Reichsgebiet verbrachte Kunstschätze, die nach Kriegsende alsbald von der US-Army restituiert wurden, gelangten nämlich vielfach nicht an ihre Ursprungsorte zurück, sondern wurden den zentralen Museen der Sowjetunion übergeben. Jetzt aber fordert insbesondere die Ukraine - diedie schwersten Verluste durch deutsche Plünderungen erlitten hat - Kunstwerke zurück, die nach dem Krieg in den Museen von Moskau oder Leningrad verblieben.

Doch das Gesamtbild der Beutekunst-Problematik ist noch weit vielschichtiger. Überlagert wird die völkerrechtlich eindeutige Forderung der Rückgabe an die Ursprungsländer von der Frage nach jüdischem Eigentum. Beides ist nicht deckungsgleich. Das ist in manchen der von deutscher Besatzung heimgesuchten Länder Europas jahrzehntelang schlicht verdrängt worden. Museen in Frankreich und Österreich, aber wohl auch in anderen Ländern haben Kunstwerke aufgenommen, die unzweifelhaft aus diesen Ländern stammten - aber zuvor in privatem, und zwar jüdischem Eigentum befindlich waren. Nicht immer - um es vorsichtig auszudrücken - ist die Suche nach den geflüchteten, vor allem aber den in den Konzentrationslagern ermordeten Eigentümern mit Nachdruck betrieben worden.

Verjährung ausgesetzt

In dieser Hinsicht hat sich die Situation in den zurückliegenden Jahren zum Glück dramatisch gewandelt. Vermeintlich ungeklärte, durch unauffällige Inventarisierungen verschleierte Zugänge nach 1945 sind von den Museen mittlerweile offen gelegt worden. Die Möglichkeiten des Internet haben den Informationsaustausch spürbar erleichtert. Die deutscherseits im April ins Internet gestellte "Linzer Liste" der für Hitlers "Führermuseum" zusammengerafften Kunstwerke, von denen sich etliche mangels Herkunftsnachweis noch immer im Besitz der Bundesrepublik befinden, folgt internationalen Vorbildern. Verjährungsfristen zur Geltendmachung von Eigentumsansprüchen wurden, so in Österreich, suspendiert.

Extensive Nachforschungen förderten zu Tage, wie bedenkenlos sich mancherorts Museen die chaotische Situation nach 1945 zunutze gemacht haben, als Kunstwerke kreuz und quer durch das zerrüttete Europa transportiert wurden. Gerade in Österreich bedurfte es hartnäckiger Recherchen von hellhörig gewordenen Journalisten, um die Nachkriegsgeschichte zu entwirren. Wundersames hatte sich da zugetragen. So war dem von den Nazis ausgeplünderten Wiener Zweig der Familie Rothschild zwar 1945 das Eigentum an ihrer Kunstsammlung zurückerkannt worden - doch das Vorhaben, diese Sammlung in ihre neue Exilheimat mitzunehmen, drohte an den österreichischen Ausfuhrbestimmungen zu scheitern.

Ähnlich erging es den Fördereren und Sammlern Gustav Klimts, dem Ehepaar Bloch-Bauer. Die vermeintlich salomonische Lösung sah die Stiftung zahlreicher Werke als Kompensation für die ansonsten fällige Ausfuhrsteuer vor. So kamen Häuser wie das weltweit renommierte Kunsthistorische Museum in Wien zu bemerkenswerten Zuwächsen. Peinlich genug, dass die vom Museum zur "Widmung" gewünschten Spitzenwerke der Rothschild-Sammlung bereits 1938, nach dem "Anschluss" Österreichs, als Beute ausersehen waren! - Es hat dann nach der Publikation der entsprechenden Nachforschungen in Österreich ein rasches Umdenken stattgefunden. Im Frühjahr 1999 brachte die Regierung der (damaligen) Großen Koalition einen Gesetzentwurf ein, der die Rückgabe der Museumsschätze an die eigentumsberechtigten Erben zum Gegenstand hat, ungeachtet zwischenzeitlicher Verjährung nach bis dahin geltendem Recht.

Die Washingtoner Holocaust-Konferenz vom vergangenen Jahr hat dazu beigetragen, das Problem der enteigneten Kunstschätze in globaler Perspektive zu betrachten. Andererseits beschränkt sich die Frage der Beutekunst nicht auf jüdisches Eigentum. Aber gerade weil das Problem der kriegsbedingt verlagerten Kulturgüter ein so vielgestaltiges ist, führen Einzelfallregelungen heillos in die Irre.

Es gibt nur einen Ausweg aus dem Dilemma: die bedingungslose Rückgabe aller wie auch immer enteigneten, beschlagnahmten oder als "Kriegstrophäen" mitgeführten Kunstschätze, aus welchem Land auch immer. Es geht um die weitest mögliche Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes, der in Europa vor der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs geherrscht hat. Nur so kann ein Fundament für dauerhafte kulturelle Beziehungen aller beteiligten Länder gelegt werden. Das ist die Botschaft, die von der Rückkehr der Bremer Schätze ausgeht.

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