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Kultur: Bewag-Bauten: Von der Trafo-Station zum Think-Tank

Innovationen fordern Investitionen - das galt in den zwanziger Jahren bereits für die Bewag. Für Ausbau und Verbesserung der Berliner Stromversorgung legte sie in den Jahren zwischen 1924 und 1930 ein ehrgeiziges Bauprogramm auf.

Innovationen fordern Investitionen - das galt in den zwanziger Jahren bereits für die Bewag. Für Ausbau und Verbesserung der Berliner Stromversorgung legte sie in den Jahren zwischen 1924 und 1930 ein ehrgeiziges Bauprogramm auf. Rund vierzig Gebäude entstanden damals aus der Hand des Bewag-Hausarchitekten Hans Heinrich Müller (1879-1951). Müller entwarf seine Bauten nach einem weitgehend einheitlichen Schema. Eine hochmoderne Stahlskelettkonstruktion im Inneren war notwendig, um die gewaltigen Transformatoren zu tragen und zudem eine flexible Raumgliederung zu ermöglichen.

Dem stand außen eine Ziegelfassade in der Tradition der Berliner Backsteinarchitektur gegenüber, deren Formensprache bei Müller meist zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit schwankte. Zudem verstand es der gebürtige Posener bei der Fassadengestaltung seiner Abspannwerke immer wieder, Zitate aus der Architekturgeschichte einzuflechten, vom Renaissancepalast bis zur gotischen Kathedrale. Trotz Müllers unverkennbarer Handschrift erhielt so jedes Gebäude sein unverwechselbares Gesicht.

Ausgedient, aber nicht nutzlos

Doch Müllers Bewag-Bauten sind nicht nur herausragende Baudenkmäler. Sie präsentieren mit der rasanten Elektrisierung des Lebens in der Reichshauptstadt auch ein bedeutendes Stück Berliner Industriegeschichte. Zu Beginn der neunziger Jahre hatten Müllers stadtbildprägende Ab- und Umspannwerke ausgedient. In enger Abstimmung mit der Berliner Denkmalpflege beschreitet die Bewag daher neue Wege, um ihre Industriedenkmäler für neue Nutzer und Käufer attraktiv zu machen.

In Zusammenarbeit mit den Berliner Architekten Petra und Paul Kahlfeldt ist es ihr gelungen, etliche Gebäude zu neuem Leben zu erwecken. Bereits 1992 hatte Paul Kahlfeldt mit seiner Werkmonografie über Hans Heinrich Müller dessen Bauten für die Berliner Stadt- und Architekturgeschichte zurückgewonnen; in Kürze wird zum anstehenden "Tag des offenen Denkmals" eine von ihm erarbeitete Ausstellung im Umspannwerk Oberschöneweide eröffnet. Inzwischen profilieren sich die Kahlfeldts auch bei der denkmalgerechten Umnutzung einiger Abspannwerke Müllers.

Licht in der Leitzentrale

Spektakulärstes Beispiel ist das neue Vitra Designmuseum. In der ehemaligen Phasenschieberhalle des Abspannwerks Humboldt in Prenzlauer Berg hat Vitra einen hochwertigen Ausstellungsraum gefunden. Wer heute hinter die Ausstellungsarchitektur schaut, findet kaum Eingriffe in den historischen Baubestand. Natürlich mussten eine Heizung eingefügt und die Fenster repariert werden, doch ansonsten blieb das charakteristische Erscheinungsbild unverändert und gibt nun eine reizvolle Folie für Designausstellungen ab. Noch vollständig im Zustand der Bauzeit von 1925 ist die angrenzende Leitzentrale des Abspannwerks, die Warte, erhalten. Unter ihrer Lichtdecke verschmelzen Technik und Ästhetik zu einem faszinierenden Ambiente, das an Fritz Langs legendären Film Metropolis erinnert.

Auch den kleinen Stützpunkt von 1928, der in der Brüsseler Straße in Wedding ursprünglich für die Stromversorgung des Rudolf-Virchow-Krankenhauses zuständig war, haben die Kahlfeldts wiederbelebt und zum Loft-Gebäude umgewidmet. Von der rauen Wandoberfläche bis zum bauzeitlichen Stahlgeländer im Treppenhaus - der spröde Charme des fünfgeschossigen Industriedenkmals wurde bei der zurückhaltenden Herrichtung als eine besondere Qualität des Gebäudes bewahrt. Selbst die alten Stahlfenster blieben erhalten, wenn auch unter aufwändiger Anpassung an heutige Brand- und Wärmedämmungsvorschriften.

Wer in der Umnutzung der Phasenschieberhalle des Abspannwerks lediglich das alte Vorurteil bestätigt sieht, dass technische Denkmäler bestenfalls für eine museale Nutzung geeignet sind, der wird durch die Beispiele der ehemaligen Abspannwerke in der Leibnizstraße in Charlottenburg (errichtet 1927/29) und dem Buchhändlerhof in der Mauerstraße in Mitte (errichtet 1928) eines Besseren belehrt. Beide Zeugnisse der städtischen Technikgeschichte des 20. Jahrhunderts werden künftig zum Mekka für Firmen aus dem Bereich der Neuen Technologien. Im Abspannwerk Leibnizstraße, das im Herbst von Meta-Design bezogen wird, gilt es, die Landmarke des alten Umspannwerks denkmalgerecht an die neue Funktion anzupassen und - wie im Fall der geplanten Gastronomie im Erdgeschoss - erstmals für das Publikum zu öffnen.

Anders stellt sich die Situation bei dem im Zweiten Weltkriegs schwer beschädigten Abspannwerk Buchhändlerhof dar, in dem künftig ebenfalls ein Technologie-Unternehmen seinen Sitz haben wird. Hier nimmt der Neubau einen größeren Teil gegenüber der Herrichtung des Altbestandes ein. Die erfolgreiche denkmalgerechte Umnutzung der Bewag Bauten unterstreicht, welch vielfältiges Zukunftspotenzial die Berliner Industriearchitektur bietet - vom Museum über das Wohnen bis zur gewerblichen Nutzung.

Ganz im Gegensatz zu den Thesen, die der Berliner Stadtplaner und Denkmalschutzkritiker Dieter Hoffmann-Axthelm in seinem Gutachten für Bündnis 90/Die Grünen vertritt, zeigt der Umgang mit den Bewag-Bauten Müllers, dass Industriedenkmäler nicht nur eine Belastung oder Herausforderung für ihre Eigentümer darstellen. In den Zeiten normierter Investorenarchitektur bietet ihre qualitätvolle und aussagekräftige Architektur vor allem einzigartige Chancen.

Jürgen Tietz

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