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Ritt durchs Land der alten Hits. Beyoncé, 31, in der O2 World.

© Parkwood Entertainment

Beyoncé in Berlin: Königin des Hü und Hott

Beyoncé hält in der Berliner O2 World Hof: Dabei triff ihr perfekter Hochglanzpop auf Charity-Botschaften und einen sehr speziellen Feminismus.

In der S-Bahn, Richtung Beyoncé, stimmt eine Frauenclique in Vorfreude lauthals Alicia-Keys-Songs an. Hinter dem Alexanderplatz zieht das frisch eröffnete quietschrosa „Barbie Dreamhouse“ vorbei und die vier geraten in eine Diskussion. Eine hat gelesen, dass die Dauerperpetuierung von Barbie-Images in Mädchenzimmern die Frauenbewegung um Jahre zurückwerfe. Die anderen drei sind sich da nicht so sicher. Dann lachen sie wieder, singen Alicia Keys und freuen sich auf Beyoncé.

Das ist ein schöner, für einen Beyoncé-Abend sehr passender Einstieg. Denn er bringt den bisweilen rätselhaften Mix aus Glamour Girl und Female Empowerment, den Beyoncé repräsentiert, auf den Punkt, bevor das Konzert überhaupt anfängt. Und lässt fast vergessen, dass ein Bericht über Beyoncés Tourstopp am Donnerstagabend in der großen Berliner Mobilfunkarena eigentlich ganz anders beginnen müsste, nämlich mit der Frage: Du lieber Gott, was ist bei Beyoncé bloß gerade los? Letzte Woche ein abgesagtes Konzert in Antwerpen (Erschöpfung), dann neue Babygerüchte (Dementi), dann die dumme Koinzidenz, dass die Sängerin gerade flächenwirksam Werbung für eine schwedische Billigmodekette macht, während in Bangladesch ein Sweatshop nach dem anderen einstürzt. Bringt das die Glaubwürdigkeit der gern als Philanthropin auftretenden Sängerin nicht in Gefahr?

Zumindest aktiviert Beyoncé – die seit ihrer Hochzeit mit dem Rapper Jay-Z mit Nachnamen Knowles-Carter heißt, aber auf das Knowles verzichtet sie gerne öffentlich: So glücklich verheiratet ist sie! – momentan alle ihr zur Verfügung stehenden Charity-Kräfte. In Berlin wird vor der Show ein ausgedehnter Spot für „Chime For Change“ auf die Leinwände gebeamt, eine Kampagne, in der sie sich an der Seite von Hillary Clinton für Lohngleichheit einsetzt. Die regierende Königin des Pop zusammen mit der zukünftigen Präsidentin der USA – solche Bilder sind tausendmal stärker als irgendeine Sweatshop-Kritik. Parallel startete Beyoncé letzte Woche die Aktion „BeyGood“: Vor ihren Konzerten werden Dinge eingesammelt, die ihre Fans nicht mehr haben wollen, Kochtöpfe, Rasierapparate, T-Shirts. Was genau mit den Sachen passieren soll, blieb allerdings unklar. Also bitte, wo bleibt denn da jetzt Beyoncés Kunst, das wunderbare, zutiefst im Gospel wurzelnde, in höchsten Höhen und tiefem Beben ergreifende, Aretha Franklin als größte lebende Soulstimme beerbende SINGEN?

So viel: Über Beyoncés Stimme kann sich an diesem Abend in der O2 World niemand beschweren. Sie singt perfekt, einfach perfekt. Und wenn einige der choreografisch überaus animierten Passagen ihrer „Mrs. Carter“-Show möglicherweise doch nicht ganz live gesungen sind – wer auf Pfennigabsätzen so doll ein imaginäres Rassepferd reitet und dabei nach rechts und links austritt, kann unmöglich ein und denselben Ton ohne Zittern halten –, dann sind die Konserven-Passagen doch immerhin höchst raffiniert mit den anderen verwoben.

Beyoncé lässt sich zur goldglitzernden Queen B krönen

Ritt durchs Land der alten Hits. Beyoncé, 31, in der O2 World.
Ritt durchs Land der alten Hits. Beyoncé, 31, in der O2 World.

© Parkwood Entertainment

Doch ein Beyoncé-Konzert besteht nicht nur aus Stimme, sondern auch aus Songs, Kostümwechseln und Videoeinspielern mit allen möglichen Botschaften. Hier beginnen die Probleme der „Mrs. Carter“-Show. Zum einen: Wann hat Beyoncé zuletzt einen richtig guten Song veröffentlicht? Man hat den Eindruck, alle tollen Stücke von ihr – „Crazy in Love“, „Single Ladies“, „Get Me Bodied“, „Irreplaceable“ – in ähnlicher Darbietung schon 2010 gehört zu haben, als sie mit ihrer „I Am … Sasha Fierce“-Tour unterwegs war. Aber wenn es keine neuen Hits zu feiern gibt, bestehen dann die einzigen Gründe, erneut auf Tour zu gehen, darin, dass Beyoncé nun „Mrs. Carter“ ist und ein Töchterchen hat? Was ist das für eine Botschaft an all die Frauen im Publikum, die doch eigentlich seit Destiny’s Child dachten, dass es ausreicht, eine „Independent Woman“ zu sein, und die zuletzt von Beyoncé in „Run The World (Girls)“ – dem Eröffnungssong in Berlin – noch mal erklärt bekamen, dass es die Frauen sind, die die Welt am Laufen halten? Alles nur ein Missverständnis?

Natürlich nicht, denn Beyoncés Feminismus sagt praktischerweise immer Hü und Hott zugleich: sexy sein, starke Frau sein, sich nichts sagen lassen, dem Typen willenlos an den Lippen hängen – geht alles. Es liegt an der Kausalkette: Wenn du eine starke Frau bist, die es ganz allein geschafft hat, und wenn du einen 1A-Modelkörper hast, dann kannst du ruhig für den tollsten Typen mit dem Hintern wackeln und ihn heiraten und Mutter werden. Das ändert gar nichts an dir als unabhängiger Frau, und dann ist die Liebe auch so stark, dass gewisse imperfections okay sind. Wie zum Beweis schwabbelt sich Beyoncé auf der Bühne kurz an ihrem unbekleideten Oberarm herum und lacht dabei. Jeder, der ein wenig die Politik der USA verfolgt, weiß, dass sich die Ehepaare Obama und Knowles-Carter in ihren medialen Darstellungen bisweilen nahtlos ineinanderblenden, und denkt hier: Ja, Beyoncé und Michelle werden sich auch schon über Liegestütze unterhalten haben.

Dass aber dieser sehr spezielle Feminismus kaum demokratisierbar ist, das weiß Beyoncé – es gibt schließlich nur einen Jay-Z, und der ist schon verheiratet. Deswegen sind die meisten Videobilder, die sie in die Halle projizieren lässt, auch keine Bilder der freien Wahl, sondern Bilder des Royalismus: Beyoncé bei ihrer Krönung zur goldglitzernden, von Dienern befächerten „Queen B“. Und am Ende, nach einer letzten dramatischen Koloratur und einem Flug quer durch die Halle, wünscht Beyoncé ihren minutenlang jubelnden Untertanen einen sicheren Heimweg.

Jan Kedves

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