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Kultur: Beziehungsberater: Kummer macht klug

Die Künstlerinnen Jeanette Müller, 29, und Carmen Brucic, 30, rufen die liebeskranke Gesellschaft aus. Gefühle des Versagens und Leidens finden in modernen Leistungsgesellschaften keinen Platz mehr, glauben sie.

Die Künstlerinnen Jeanette Müller, 29, und Carmen Brucic, 30, rufen die liebeskranke Gesellschaft aus. Gefühle des Versagens und Leidens finden in modernen Leistungsgesellschaften keinen Platz mehr, glauben sie. Unter dem Markenzeichen "Lovepangs" (Liebesqualen) wollen die Wiener Künstlerinnen alle unglücklich Verliebten zu einer Bewegung zusammenschweißen. Till Raether (31) ist Redakteur und Kolumnist der Zeitschrift "Brigitte". Soeben ist "Der kleine Beziehungsberater" von ihm erschienen (Wunderlich Verlag. Reinbek 2001. 254 Seiten. 29,80 Mark), ein Buch, das sich auf amüsante Weise mit den verschiedenen Phasen des Liebeslebens beschäftigt.

Wir möchten über Liebe reden. Stört es Sie, wenn wir privat werden?

BRUCIC: Ja, mich schon.

RAETHER: Ich tue so, als wäre ich privat.

Was machen Sie, Frau Brucic, wenn eine Freundin sich Ihnen mit dem Bekenntnis anvertraut, dass sie unglücklich ist?

BRUCIC: Sie würde wollen, dass man ihr Aufmerksamkeit schenkt. Es gibt die sehr schöne Geschichte eines Schriftstellers, der mit einem Freund, dessen Frau ihn gerade verlassen hat, zusammensitzt. Der Freund erzählt ihm die ganze Geschichte. Er kann nichts tun. Im Hintergrund plappert ein Radio, während sie ohnmächtig am Küchentisch sitzen. Aus lauter Verzweiflung zünden sie das Radio schließlich an.

Was würden Sie von jemandem halten, der seinen Kummer auf dem Alexanderplatz laut herausbrüllt?

RAETHER: Wir erleben ja permanent, dass Leute Bekenntnisse herausschreien, die sie für ihre Verzweiflung halten. Dabei ist es zu einer merkwürdig Paradoxie gekommen: In der Öffentlichkeit findet heute soviel Gefühl, Liebe und Sexualität statt wie nie zuvor - die gesamte Gesellschaft fühlt sich einer künstlichen Kultur der Nähe verpflichtet. Doch das Private wird nicht mehr als politische Kraft gesehen.

Das ist, was der amerikanische Soziologe Richard Sennett die "Tyrannei der Intimität" genannt hat. Haben wir gelernt, damit umzugehen?

MÜLLER: Talkshows oder Reality-Soaps bedienen immer wieder dieselben Stereotypen des Unglücklichseins. Dass man unglücklich ist, soll aber nichts damit zu tun haben, in welcher Gesellschaft wir leben. Dabei ist es das Empfinden der Menschen, das gesellschaftliche Zustände beeinflusst.

RAETHER: Das bezweifle ich. Unser Zusammenleben wird nicht von Gefühlen bestimmt, sondern von Verhaltensweisen. Als Redakteur einer Frauenzeitschrift interessiert mich, wo Menschen große Gefühle - also Liebe - zur Grundlage ihres Zusammenlebens machen, aber erkennen müssen, dass sich solche Gefühle aufbrauchen können. Sie müssen eine Art des Zusammenlebens entwickeln, das zwar nach wie vor auf Liebe basiert, aber diesem Gefühl nicht mehr trauen kann. Das Verhalten, das man bei solchen Prozessen erlernt, besitzt eine utopische Komponente. Man darf Handlungsweisen ausprobieren, die, wenn man sie auf gesellschaftlicher Ebene anwenden würde, vermutlich genau die richtigen wären.

BRUCIC: Tatsächlich werden ständig "Kriegsschauplätze" eröffnet, wie die im Fernsehen ausgetragenen Beziehungskrisen von Leuten, die als gegnerische Parteien aufgebaut werden.

In der Romantik war die Liebe eine große Versöhnungskraft. Hat uns das Ende der Utopien auch das Ende der Liebe beschert?

RAETHER: Die Liebe ist als romantisches Versöhnungsideal inhaltsleer geworden. Ich würde Liebe als Gegenteil von Zynismus definieren. Wenn es Menschen gelingt, fair, freundschaftlich und intim miteinander auszukommen. Der viel beklagte Rückzug ins Private eröffnet heute die Möglichkeit, einen Gegenangriff zu starten und die Vielzahl gesellschaftlicher Zumutungen zurückzuweisen.

Wir sollen eine neue Liebespolitik erfinden?

MÜLLER: Die Sehnsucht nach Umgangsformen, die nicht den Gesetzen des Marktes unterliegen, ebnet den Weg für eine Großzügigkeit, die allen Menschen entgegengebracht werden müsste. Aber das setzt Mut voraus. Denn man wird ausgelacht dafür.

Deshalb haben Sie eine "Gesellschaft der Liebeskranken" gegründet?

MÜLLER: Mich hat stets irritiert, dass einem unterstellt wird: Du lebst in einer glücklichen Beziehung, also muss es dir ja gut gehen. Diese Ausschließlichkeit der Glücksquelle hat etwas Fatales. Ich unterhalte zur Welt eine ganze Reihe von Beziehungen, die schmerzhaft sind und weh tun, unabhängig davon, ob ich glücklich verliebt bin.

Sie haben für diese "Liebesqualen" ein vierstufiges Modell entwickelt, das von anfänglichem "Schmerz" über "Wut" und "Enttäuschung" bis zur eigentlichen Trennung reicht. Wissen wir zu wenig von unseren Qualen?

BRUCIC: Das Modell ist nicht als lineare Verlaufskurve gedacht, die den Liebeskranken einem durch Phasen unterteilten Heilungsprozess aussetzt. Je nach Temperament reagieren die Menschen mit Wut oder Enttäuschung auf einen Trennungsschmerz. Aber wir wollen zeigen, dass man nicht festsitzt, sondern dass es einen Fortschritt gibt.

"Auf den Schmerz folgt der Hass, und danach wird irgendwann wirklich alles besser", heißt es in ihrem "kleinen Beziehungsberater", Herr Raether. Macht uns Liebeskummer klüger?

RAETHER: Man wird klüger, weil man sich mit jedem Liebeskummer vom Ideal der romantischen Liebe verabschiedet. Die erste Trennung ist traumatisch und furchtbar. Aber sie ist es, weil man die ganze Beziehung über geglaubt hat, man habe die Große Liebe, seinen soulmate gefunden, und könne endlich aufhören zu suchen. Das ist aber ein Irrtum.

MÜLLER: Was es so schlimm macht, ist die Tatsache, dass man nicht nur die eigenen Filme darauf projeziert, sondern auch die, mit denen man gespeist worden ist.

RAETHER: Und das Ende kommt, wenn der Alltag beginnt. Wenn die Verhandlungen einsetzen. In der Unterhaltungskultur finden solche Auseinandersetzungen nämlich nicht statt.

MÜLLER: Das ist wahr. Mit dem Verlust wird viel zu leichtfertig umgegangen. Es ist ein brennender Schmerz, aber wir haben uns angewöhnt, ihn auszublenden. Es bleibt einem nicht erspart, mit dem Verlust zu leben.

Ist es besser, mit seinem Trennungsschmerz zum Psychiater zu gehen oder sollte man Kunst daraus machen?

RAETHER: Ich würde zum Psychiater gehen.

MÜLLER: Wir haben mit Cees Krijnen einen niederländischen Künstler eingeladen, der den Scheidungskrieg seiner Eltern in Kunst verwandelt. 15 Jahre litt seine Mutter unter dem Psychoterror ihres Ex-Mannes, der sie in einen dauerhaften Gerichtsstreit verwickelte. Krijnen gewann damit den "Prix de Rome", den wichtigsten Kunstpreis der Niederlande. Er ließ seine Mutter in einen Plan ihres Hauses alle Gegenstände einzeichnen, die der Mann ihr genommen hatte. Da er sich vorher über die Jurymitglieder bei deren Sekretärinnen erkundigt hatte, stellte er sie seiner Mutter als Heiratskandidaten vor. Nicht nur, dass es Krijnen gelungen ist, seine Mutter zur offiziellen niederländischen Botschafterin der Frauen in Scheidung zu machen. Wo sie auftritt, wird sie von berühmten Modedesignern gekleidet, in einer Limousine chauffiert und entsprechend fotografiert. Die Mutter ist ein Star.

Helfen solche Aktionen, das private Trauma zu bewältigen?

MÜLLER: Als mein Vater bankrott ging, musste meine Wohnung versteigert werden. Es wurde ein Gerichtstermin anberaumt und in der Wohnung erschienen Leute, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Das waren die besseren. Die anderen kannte ich sehr wohl - sie kamen aus der Nachbarschaft und wollten sich die Wohnung mal aus der Nähe ansehen. Wie hätte ich mich dagegen wehren können? Ich habe das Ganze inszeniert - und die Wohnung verwüstet. Die Möbel waren übereinander gestapelt, Bücher, Gesetzestexte und feministische Manifeste lagen auf dem Fußboden verstreut. Die Wände hatte ich mit den zahllosen Gerichtsschreiben beklebt. Ich selbst trug enge schwarze Lederklamotten. Meine blonden Haare hatte ich schwarz gefärbt. Obwohl das alles keine Öffentlichkeit hatte und die Schmerzen nicht linderte, half es mir. Denn ich konnte etwas, dem ich ohnmächtig gegenüberstand, aufmerksam wahrnehmen.

Sucht die Gesellschaft nicht Künstler, die stellvertretend für alle anderen leiden?

MÜLLER: Wir wollen das Leiden nicht ästhetisch verklären. Jeder Mensch hat seine individuelle Liebesqual. Deshalb veranstalten wir einen Kongress, haben Produkte und Buttons entworfen, die jeder erwerben kann.

Eine "Lovepangs"-Zahnbürste gegen Liebeskummer?

MÜLLER: Wir würden gerne Telefontarife, Suppen und Tee-Mischungen anbieten. Aber keines der Produkte verspricht Heilung.

RAETHER: Gesellschaftliche Gruppen werden nur ernst genommen, wenn sie als Zielgruppe auftreten und einen Wirtschaftsfaktor entwickeln.

Sind Sie glücklich verliebt?

MÜLLER: Ja. Aber ich lebe trotzdem im "Schmerz".

BRUCIC: Bei mir ist es "Wut".

Wir möchten über Liebe reden. Stört

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