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Schlachtfeld Familie. Ana (Diana Cavaliotti) und Toma (Mircea Postelnicu) können nicht mit und nicht ohne einander.

© Real Fiction

Beziehungsdrama „Ana, mon amour“: Panik in den Augen

Unerbittlicher Authentizismus: Călin Peter Netzers Bären-Gewinner „Ana, mon amour“ handelt von einer selbstzerstörerischen Beziehung.

„Dieses freie Assoziier-Ding kommt mir ganz schön kompliziert vor“, sagt Toma zu seinem Analytiker. Nach gut einer Viertelstunde gibt der Film sein Erzählprinzip zu erkennen: eine Psychoanalysesitzung als Rahmenhandlung, die fragmentarische Erinnerungen an eine mittlerweile zerbrochene Ehe in Gang setzt. Immer wieder kehren die Rückblenden zu diesem – letztlich einzig verlässlichen – Bild zurück: Im Vordergrund Toma erstaunlich entspannt auf der Couch liegend (es ist seine erste Sitzung), dahinter der Analytiker in autoritärer Chefsessel-Pose.

In „Ana, mon amour“ des rumänischen Regisseurs Călin Peter Netzer liegen Macht und Kontrolle in den Händen der Psychoanalytiker, Ärzte, Geistlichen (Beichtväter werden weiterempfohlen wie Yogalehrerinnen) und – mit Abstrichen – in den Resten des patriarchal verkrusteten Familiengefüges. Dazwischen treibt haltlos ein Paar, Ana und Toma (Diana Cavaliotti, Mircea Postelnicu).

Silberner Bär für das beste Drehbuch

Gleich die Eröffnungsszene des Films, die mitten in eine Unterhaltung über Nietzsches Moralphilosophie hineinplatzt, beschreibt einen gleich mehrfachen Kontrollverlust. Nietzsches Übermensch sei nicht der Nazi-Arier, meint Toma in der Küche des Studentenwohnheims, er sei der Mensch, der seine Instinkte und Ängste beherrscht. Passend zum Thema dringt lautstarkes Stöhnen aus dem Nebenzimmer. Ana wird plötzlich von Angst überwältigt.

Ana bekommt keine Luft, schwitzt, zittert, muss sich hinlegen. Tomas Hand, die beruhigend über ihren Bauch streicht, schiebt sich irgendwann in den Schritt. Nahezu alle Beziehungen in „Ana, mon amour“, der auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären für den Schnitt ausgezeichnet wurde, sind von Übergriffen geprägt: Panik geht über in sexuelle Erregung, Fürsorge führt zu Erstickung. Als Ursache von Anas Krankheit steht zudem ein sexueller Missbrauch im Raum.

Keine Intimität ist der Kamera zu viel

„Ana, mon amour“ erzählt von dem Versuch, einen Körper, eine Beziehung und nicht zuletzt die familiären Schlachtfelder, die die kommunistische Vergangenheit in der Gegenwart hinterlassen hat, unter Kontrolle zu bekommen. Wenn Ana zu ersticken glaubt, atmet ihr Toma vor, bis beide im Rhythmus sind. Er bringt sie ins Krankenhaus, spricht mit den Ärzten, überwacht die Medikation, telefoniert und raucht. Die Handkamera nimmt dabei die emotionale Verfasstheit der Figuren auf. In aufgelösten, suchenden Bewegungen schwenkt und reißt sie mal hier, mal dort hin, immer nah dran, an den Körpern, den Gesichtern, den Bewegungen. Sie erschnüffelt den Angstschweiß, registriert jede Ausdünstung, jede grimassenhafte Zuckung in Anas erschöpften Gesichtszügen. Sie saugt alles auf: das Küssen, den Sex, das Scheißeabwischen. Keine Intimität ist ihr zu viel.

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Nach dem Bären-Gewinner „Mutter & Sohn“ (2013) nun also Szenen einer Ehe als psychologisches Koabhängigkeitsdrama. „Ana, mon amour“, Netzers vierter Film, ist deutlich strapaziöser als das Vorgängerwerk. Durch seinen unerbittlichen Authentizismus rückt er der Betrachterin auf den Leib, das kann schon mal klaustrophobisch werden – als Übertragungsleistung ist das immerhin geglückt. Die Erzählsprünge scheuchen zusätzlich auf. Scheinbar ungeordnet springt die Handlung vor und zurück, es gibt kurze und wie dazwischengeworfene Szenen und solche, die stärker ausformuliert sind und in der Kontinuität eines Davor und Danachs stehen. Zu einer extensiven Bettszene (Sex, Panik, Gespräch und Gesang) kehrt Netzer immer wieder zurück. Doch spätestens wenn sich eine Erinnerung Tomas als Traum herausstellt, wird das Kalkül hinter der scheinbar frei assoziierenden Erzählung sichtbar. Was sich fragmentarisch und elliptisch gibt, produziert doch nur konventionelle Kausalitäten.

Zwei Szenen verdichten sich zur Milieustudie

Überzeugender ist „Ana, mon amour“, wenn sich Netzers Blick auf das Gesellschaftliche weitet. Zwei Szenen bei den Familien der Partner verdichten sich zu einer aufschlussreichen Milieustudie. Anas Familie ist proletarisch und derb, die Wohnung ein Mix aus Geschmacklosigkeiten und sozialistischem Muff. Toma muss mit dem Stiefvater das Bett teilen, im väterlichen Pyjama. Der Besuch bei Tomas Akademikerfamilie beginnt zwar gepflegt bürgerlich, aber auch er endet in verbaler und körperlicher Gewalt.

Netzers Sinn für Komik kommt vor allem in seinen Beobachtungen kirchlicher Autoritäten zum Tragen. Bei einer Beichte rechnet der Pfarrer Toma vor, dass er über die Jahre den Wert eines Neuwagens weggeraucht habe.

In 5 Berliner Kinos (alle OmU).

Esther Buss

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