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Kultur: Bibel bleibt Bibel

Das Wiener Burgtheater feiert Jubiläum

„In Österreich ist öfter schon alles drunter und drüber und schließlich doch ins Burgtheater gegangen“, heißt es bei Karl Kraus. Der Mythos Burg dient bis heute als „Bollwerk der Hochkultur“ gegen Österreichs Apokalypsen – nicht zuletzt dank eines gezielten politischen Marketings. Nun feiert das „Fanal im Zentrum von Wien“, wie Direktor Klaus Bachler es nennt, Jubiläum: Vor 50 Jahren wurde es wiedereröffnet.

Von jeher gelten Burgtheater und Staatsoper als Säulen des österreichischen Selbstverständnisses. Man kompensierte so das Identitätsvakuum nach dem Untergang der Habsburger Monarchie: Aus dem einstigen Vielvölkerstaat wurde die „Kulturgroßmacht“ Österreich, deren Subventionen für die Repräsentationskultur (die drei Wiener Bundestheater) laut einer aktuellen Studie dreimal so hoch sind wie das übrige Kunstbudget. Dabei interessiert sich die Bevölkerung nicht mehr fürs Theater als anderswo in Europa. Die Kulturnation: eine gelungene Inszenierung der Eliten.

„Die Zeiten ändern sich, aber die Bibel bleibt die Bibel“, schreibt Bachler in seinem Essay „Ich ziehe das Burgtheater über den Berg“, nachzulesen in Klaus Dermutz’ Buch „Das Burgtheater 1955– 2005. Die Welt-Bühne im Wandel der Zeiten“ (Deuticke Verlag, 288 S., 21,50 €). Zum Jubiläum stellt sich das Haus erstmals ausführlich seiner Vergangenheit: Als zurückhaltender Chronist betrachtet Dermutz die Zeit vor und während der NS-Diktatur, in der die Burg eine aktive Rolle als ideologische Propagandamaschine spielte. Nach Kriegsende wurde Österreichs Hochkulturbetrieb rasch wieder aufgenommen: mit den Schauspiel- und Regie-Stars, unabhängig von deren NS-Vergangenheit. Der erste „Ehrenring des Burgtheaters“ ging 1955 an den nazitreuen Regisseur und Schauspieler Ulrich Bettac.

Dermutz schildert die Wiedereröffnungsfeierlichkeiten von damals, zitiert aus Zeitungsberichten und Erinnerungen von Zeitzeugen und beleuchtet einzelne Inszenierungen sowie Autoren wie Bernhard, Turrini, Jelinek, Handke und Schwab. Leider fehlt eine chronologische Darstellung der Zeit nach 1955, und das Inszenierungsverzeichnis beinhaltet ausschließlich Bachlers Intendanz ab 1999. Der amtierende Direktor widmet seinen fast 50-seitigen Essay derweil einer geradezu narzisstischen Darstellung seiner Karriere vom „Bildungsbürgerkind“ bis zur Ernennung zum Burgdirektor. „In meiner Person ist die Tradition Österreichs lebendig. Ich bin ein monarchistisches Gebilde. Ich komme nicht aus Bremen.“ Doch trotz zahlreicher Seitenhiebe auf seinen Vorgänger Claus Peymann gesteht Bachler: „Der Einfluss des deutschen, ja protestantischen Arbeitsethos auf diese katholische Domäne hat viel gebracht. Es gibt vielleicht nicht mehr so viele große Persönlichkeiten am Burgtheater wie früher, aber es wird heute viel ernsthafter gearbeitet.“

Die Jubiläumsgala am Wochenende stand wiederum ganz im Zeichen der Tradition. Wie schon 1955 gab es Schillers Prolog aus „Wallenstein“, „Zueignung“ und „Vorspiel auf dem Theater“ aus Goethes „Faust“, die Wiener Philharmoniker gaben wie anno dazumal Beethovens „Weihe des Hauses“. In seiner Festrede hielt der Orientalist Navid Kermani ein Plädoyer für die humanen Pflichten eines geeinten Europas, und unter dem Titel „Kunstvaterland“ rezitierte das nahezu vollständige Ensemble Kommentare zu Politik und Kultur von 1945 bis 1955 – was mit Elfriede Jelineks Lied-Farce „Wiener Blut“ ironisch-heiter endete.

Auch der aktuelle Spielplan rekurriert auf die Klassiker der Wiedereröffnung von 1955: Gezeigt werden Martin Kušejs kritisch-entlarvende Fassung des Nationalstücks per se, Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“. Außerdem: Raimunds „Verschwender“ (Regie: Stefan Bachmann), Goethes „Torquato Tasso“ (Stephan Kimmig), Schillers „Wallenstein“ und Lessings „Minna von Barnhelm“ (beide: Andrea Breth). Dazwischen mutet die Aktionskunst von Hermann Nitsch und Christoph Schlingensief fast fremd an. Das Burgtheater 2005: mehr Vielfalt als Profil, eine Prise Moderne, aber unbedingt traditionsorientiert. Dem Mythos wünschte man seine Realisierung im Heute.

Christina Kaindl-Hönig

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