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Kultur: Bieder, Mann! - Rosa von Praunheims Art Lehrfilm

Ob man ihn denn nun als "Einstein des Sex" bezeichnen könne, wird der deutsche Sexualforscher Magnus Hirschfeld 1930 von amerikanischen Journalisten gefragt. Hirschfeld akzeptiert, setzt aber kokett eins drauf.

Ob man ihn denn nun als "Einstein des Sex" bezeichnen könne, wird der deutsche Sexualforscher Magnus Hirschfeld 1930 von amerikanischen Journalisten gefragt. Hirschfeld akzeptiert, setzt aber kokett eins drauf. Lieber wäre es ihm, wenn Albert Einstein eines Tages der "Hirschfeld der Physik" genannt würde.

Vier Jahre später ist Hirschfeld tot, an seinem 67. Geburtstag im französischen Exil gestorben. In Berlin wüten die Nazis. Und auch nach dem Krieg bleibt es still um sein Vermächtnis. Eine Würdigung ist dem Pionier der deutschen Schwulenbewegung bis heute nicht zuteil geworden. Naheliegend, dass sich nun Rosa von Praunheim daran machte. Schliesslich hat er 1970 mit "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt" ein Fanal gesetzt, das die antiautoritäre Schwulen-Emanzipationbewegung mit initiierte. Und 1994, in "Neurosia - 50 Jahre pervers", sein Hirschfeld-Porträt angekündigt.

Wie geht nun der streitbare und exzentrische Rosa mit diesem streitbaren und exzentrischen Leben um? Praunheim arbeitet streng chronologisch, beginnend mit dem kleinen Magnus, der am Ostseestrand kopulierende Tiere zeichnet. Es folgen das Studium der Medizin in Berlin, erste erotische Attraktionen und auch Konfrontation mit der schwulenfeindlichen Lehrmeinung. Nahtlos - und stets bedeutungsvoll - schließen die Erkennnis-Stationen des jungen Hirschfeld (Kai Schuhmann), später die des älteren (Friedel von Wangenheim) aneinander an. Schaut, schon der Junge wollte den Dingen, speziell den sexuellen, auf den Grund gehen! Seht, dieser Selbstmord eines Homosexuellen hat ihn zum Aktivisten gemacht!

Drei Erzählstränge ziehen sich durch den Film. Zunächst Hirschfelds politisch-wissenschaftlicher Werdegang, die Gründung des Wissenschaftlich-Humanistischen Komitees 1997, die Gründung des Instituts für Sexualwissenschaft und dessen Zerstörung durch die Nazihorden. Zweiter roter Faden: die Angriffe, denen der Jude, Sozialist und Homosexuelle immer wieder ausgesetzt ist - immer heftiger bis 1930, als Hirschfeld Deutschland für eine Reise verlässt, die bis zu seinem Lebensende dauern soll. Auch einen Gegner innerhalb der Bewegung hat er, den schwülstig männertümelnden Herausgeber der ersten deutschen Homosexuellen-Zeitschrift "Der Eigene", Adolf Brand, den Ben Becker in üblicher Kerligkeit gibt.

Schließlich ist da der Privatmensch Hirschfeld, einer, der, wie es Haushälterin Dorchen benennt, "zwar alles von der Liebe auf der ganzen Welt weiß, nur von sich selbst keine Ahnung hat". Nun ja, Dorchen (Tima die Göttliche) ist auch unglücklich in den Meister verliebt. Erst spät, als das Institut schon etabliert ist, geht Hirschfeld, fast überrumpelt, eine Beziehung zu dem jungen Karl Giese ein, der ihm das Leben gerettet hat und sein Schüler wird.

Die letzten beiden großen Filme Praunheims - "Ich bin meine eigene Frau" über Charlotte von Mahlsdorf und der schrillbunte autobiografische Streifzug "Neurosia" - wirkten, als habe er zu einer abgeklärten Selbstironie gefunden. "Der Einstein des Sex" aber ist nur plakativ und seltsam bieder geraten. Die Schauspielerführung erinnert an die "Lindenstrasse". Und dass Elfi Mikesch die Kamera geführt hat, möchte man gar nicht glauben.

Der Film ist insofern wichtig, als es bislang nichts Vergleichbares über diesen viel zu unbekannten Sexualrevolutionär zu sehen gibt. Danach aber sollte man sich in einer gut bestückten Videothek Praunheims "Bettwurst" ausleihen. Viel Vergnügen!Broadway, FT am Friedrichshain, Hackesche Höfe, International, Xenon, Yorck

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