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Kultur: Big Bill Bang

Sphärisch erklingt "Where have all the flowers gone" - in einem Fernsehspot für das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, UNHCR.Sekunden zuvor, um zehn Uhr abends Washingtoner Zeit, hat Präsident Bill Clinton coram publico erklärt, er habe ein "unangemessenes Verhältnis" ("an inappropriate relationship") zu einer Praktikantin an seinem Arbeitsplatz unterhalten.

Sphärisch erklingt "Where have all the flowers gone" - in einem Fernsehspot für das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, UNHCR.Sekunden zuvor, um zehn Uhr abends Washingtoner Zeit, hat Präsident Bill Clinton coram publico erklärt, er habe ein "unangemessenes Verhältnis" ("an inappropriate relationship") zu einer Praktikantin an seinem Arbeitsplatz unterhalten.Er bedauere, sagt er, die Amerikaner und sogar seine eigene Frau hintergangen zu haben.

Kann man sich Helmut Kohl so vorstellen? Oder Helmut Schmidt? Bizarr flimmert die Szene, ausgestrahlt zu Abermillionen von Zuschauern.Dann ist der Präsident verschwunden, CNN ist gnädig und nutzt die Einschaltquoten für Werbeblöcke.Musik, Riß, Szenenwechsel - der UNHCR-Spot.Dann, Sekundentakt, die Runde des CNN-Talkmeisters Larry King.Wie ein beharrlicher Specht klopft Larry seine Gäste auf Antworten ab: Berater des Weißen Hauses und Rechtsexperten.Jemand spricht von der "wohl berühmtesten Praktikantin der Welt", und jemand erklärt, er habe die "ungewöhnlichste Rede" gehört, die ein amerikanischer Präsident je gehalten habe.In dem Land, das die Inflation der Superlative erfunden hat, fällt es schwer, angemessene Superlative für die nicht angemessene Sache aufzutun.

Einen europäischen Betrachter mit Resten von politischer Nüchternheit kann das Gefühl packen, die Hauptstadt der Weltpolitik sei per Space-Shuttle zum Planet Irrwitz katapultiert worden und dort in Billionen Stücke zerschellt.Big Bill Bang.

Diese Affäre, deren Gipfel mit der Aussage des Präsidenten erreicht ist, hat die USA vierzig Millionen Dollar gekostet.Und in Wahrheit sind die Kosten noch höher.Textilreinigungen, Druckerschwärze, eine Unsumme kostbarer Sendeminuten in Radios und Fernsehen, Schöffengerichtsstunden, Beweissammelei, Aktenstudium der Rechtsbeistände, schlaflose Nächte eines ganzen Stabes, der Besseres zu tun hätte.Staunend lauschen die nächtlichen Zuschauer wiederholt der früheren Aussage desselben Mannes, die seine jetzige konterkariert: Nie habe er eine unstatthafte Beziehung zu "dieser Frau" ("that woman") unterhalten.Dann wieder das neue Statement.Er habe geleugnet, sagt der Staatsmann, aus Angst vor der persönlichen Blamage, aus Angst vor der Grand Jury und um die Familie zu schützen.

Will irgendein Demokrat der Erde Erklärungen zu solchen Themen, die sonst nur Hugh Grant oder ähnliche Hallodris der Halbwelt abgeben müssen, will irgendjemand irgendsoetwas von dem obersten Beamten eines Staates hören, dessen diplomatische Vertretungen in Ostafrika vor wenigen Tagen Ziele terroristischer Attentäter geworden sind? Von jemandem, der im eigenen Land eine Bildungsoffensive beginnen will? Zu sehen ist nicht der, der jetzt nötig wäre: ein Demokrat mit Selbstironie, ein Außenpolitiker, ein Gentleman.Er hätte lügen können aus vielen guten Gründen.Aus Diskretion, um das betroffene Mädchen und die eigene Frau zu schützen und auch die Tochter.Oder den Staat.Aber ein Präsident sitzt da und klagt: "Even Presidents have private lives".Stimmt, solange das private life nicht Millionen Dollar verschlingt, die andere verdient haben und als Steuern zahlen, damit Schulen, Straßen und Krankenhäuser gebaut werden.Im Studio beginnen sie sich zu zanken, über Details.Und in San Francisco erklärt ein Kellner, das Hauptproblem habe nun Hillary - mit dem schlechten Geschmack des Gatten: "Kennedy, der hatte wenigstens was mit einer Klasse-Frau wie Marilyn Monroe!".cf

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