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Bilanz Autorentheatertage 2012: Jedem Schaf seine Insel

Die Autorentheatertage am Deutschen Theater gehen mit einer Langen Nacht zu Ende.

Die dritten Autorentheatertage Berlin ziehen Jubelbilanz: In 12 Tagen wurden 33 Dramatikerinnen und Dramatiker in 45 Veranstaltungen präsentiert, zu denen 7227 Zuschauer kamen. Okay, mit denen würde man vermutlich nicht mehr als zehn Meter Fußball-Fanmeile füllen. Aber im Deutschen Theater bedeuten sie eine Auslastung von 90 Prozent. Entsprechend begeistert zeigt sich Intendant Ulrich Khuon. Die gesicherte Finanzierung der Autorentheatertage ist ja eine seiner Bedingungen für die anstehende Verlängerung seines Vertrags.

Keine Frage, Khuons gepflegtes Gastspiel-Festival für neue Dramatik bietet einen guten Überblick, was die Hautevolee gerade schreibt (Handke, Jelinek, Schimmelpfennig), und welche Unter-40-Jährigen en vogue sind (Dirk Laucke, Philipp Löhle, Oliver Kluck). Allerdings soll man die Tage nicht vor dem Abend und schon gar nicht vor der Langen Nacht der Autoren loben, dem traditionellen Abschluss.

Deren Prinzip: ein Kulturmensch, in diesem Fall der Journalist Tobi Müller, wählt Texte von Nachwuchsschreibern aus, die dann in Werkstattinszenierungen präsentiert werden. „Sei nicht du selbst“ hatte Müller als Motto für seinen Stückewettbewerb ausgegeben, in Fundamentalopposition gegen das neoliberale Mantra der Selbstverwirklichung und überhaupt gegen den grassierenden Authentizitätswahn. Da hatte Vorjahresjurorin Elke Schmitter mehr Kamikaze-Mut bewiesen, als sie sich von Jungdramatikern Komödien wünschte.

Sei’s drum, Tobi Müller hätte als Titel auch „Mehr Intimhygiene!“ ausgeben können, vermutlich wären die gleichen 100 Stücke eingesandt worden. Der Nachwuchs schreibt halt, was ihm so einfällt. „Totberlin“ hat die Autorin Sarah Tabea Paulus ihren dramatischen Erstling genannt. Paulus ist Absolventin des Studiengangs Szenisches Schreiben an der Universität der Künste. Und genauso klingt ihr Text auch, nach Erfahrungsmangel und Seminarpoesie: „da liegt sie vor mir die stadt liegt da in stein und stahl und volk und glas und potential und zement“, und so fort. Hauptfigur Fox (Alexander Khuon) hat als Hobbys Suizidversuche und urbane Theorie, was sich in bedeutungsschweren Sinnfragen Bahn bricht: „Sollte die Stadt mit der Größe des Talents zunehmen?“ Die hier betriebenen Maßnahmen zur Metropolen-Schrumpfung führen jedenfalls geradewegs in den Forst. Ein fatales Trio aus Fox, seiner Schwester (Melanie Straub) und deren Freundin (Franziska Melzer) raunt in Tobias Wellemeyers Werkstattinszenierung papierene Innerlichkeitssentenzen in den Video-Wald, wobei es wohl irgendwie um Kartografien der Seele geht. Genauer will man’s auch nicht wissen.

Nina Büttner, Jahrgang 1979, hat, was sonst, Szenisches Schreiben an der UdK studiert und für „Schafinsel“ bereits den Else-Lasker-Schüler- Preis gewonnen. Erfreulicherweise nervt sie nicht mit prätentiöser Nabelschau, sondern rotzt eine klischeesatte Prekariatsgroteske hin, deren Dialoge sicher dem Alltag abgelauscht sind. Tochter Nori (Olivia Gräser): „Hast du gekotzt?“ Mutter Lisa (Almut Zilcher): „Das würde dich freuen, was? Nur eine kleine Verstopfung.“

Nori ist eine Prostituierte, die davon träumt, ihrem Zuhälter Toni (Andreas Döhler) zu entfliehen und auf die immergrüne Insel Wikney zu ziehen. „Come and visit us“ locken die Schafe auf einem gigantischen Werbeplakat in der Inszenierung von Hasko Weber. Zwar geht dem Stück nach ungefähr 20 Minuten die Puste aus – dennoch: der kleine Höhepunkt des Abends.

„Wir schweben wieder“ von Charlotte Roos, die offenbar nicht Szenisches Schreiben an der UdK studiert hat, aber 2009 zum Stückemarkt des Theatertreffens eingeladen war, verhebt sich dagegen an einer magischen Verquickung von Privatem und Politischem. Eine Simultandolmetscherin übersetzt die Kopenhagener Anti-Kapitalismus-Rede von Hugo Chavez, während eine erotische Tänzerin, eine frustrierte Gewaltfantastin, ein Totaldepressiver und ein Berufssohn sich die Brillen eines Verstorbenen herumreichen. Ein verquastes Figurengeflecht, dem auch Cilli Drexels Regie kaum erhellende Perspektiven abgewinnen kann.

Gegen Mitternacht ist dann endlich Schluss, „Sei nicht du selbst“ leuchtet auf dem Plakat an der Fassade des Deutschen Theaters. Die Gegenwartsdramatik bräuchte andere Imperative.

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