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Lunatic 1988. Cosplayer genannte Manga-Fans stromerten in Leipzig in den Kostümen ihrer Lieblings-Comicfiguren durch die Hallen.

© Arno Burgi/dpa

Bilanz der Leipziger Buchmesse: Sarrazin, Lewitscharoff und die Manga-Mädchen

Leipziger Allerlei vom Politspektakel über die Comic-Convention bis zum Schwyzerdütsch in Bussen und Bahnen: die Buchmessen-Bilanz.

Es ist ein Bild, das die Leipziger Buchmesse seit über zehn Jahren bestimmt, und das in den Tagen von Donnerstag bis Sonntag immer farbenfroher und wimmeliger wird: Viele junge Menschen kostümieren sich wie ihre Manga-Comics-Lieblingsfiguren, Cosplay genannt. Dieses Jahr hatte die Messe erstmals den Manga-Comic-Verlagen und angeschlossenen Marketingfirmen eine eigene Halle eingerichtet: die Manga Comic Convention (MCC) – mit Lesungen, Autogrammstunden, Kostümaktionen.

Alles schön knallig bunt hier, und doch ist die Halle 1 der Messe so weiträumig und hoch, dass selbst die 170 Manga-Aussteller dagegen nicht ankamen. Trotz des bunten Gewimmels ging es hier erholsam ruhig zu im Vergleich zu den anderen Hallen, in denen es von Freitag an zunehmend enger und stickiger wurde. Zumal die Manga-Jugend es sich ja nicht nehmen ließ, das gesamte Messegelände zu fluten, auf dass es nicht eines Tages heiße, Bücher und Literatur seien nur noch etwas für ältere Menschen.

Thilo Sarrazin erntete bei seinem Auftritt Pfiffe

Es waren dann auch ein paar zwar nicht bunt, sondern schwarz verkleidete junge Menschen, die Thilo Sarrazins Auftritt auf dem Blauen Sofa mit lauten Pfiffen kurz störten, dummerweise in dem Moment, in dem Sarrazin erörterte, dass es immer schwerer werde, in Deutschland seine Meinung zu äußern. Schnell kamen zwei Polizisten herbei, und Sarrazin konnte wieder ungestört seine Thesen vom „Konformitätsdruck“ und der „Gleichheitsideologie“ verbreiten, ausgeübt vor allem von den Medien, die schon lange nicht mehr die Meinungen der Mehrheit repräsentieren würden (sind alle links und grün und überhaupt böse).

Moderator Wolfgang Herles gestand, mit Sarrazin durchaus einer Meinung zu sein, fragte Sarrazin aber immerhin zu Beginn des Gesprächs, ob er von allen geliebt werden wolle, so sehr erörtere er auf den ersten 80 Seiten seines „Tugendterror“-Buches den eigenen Fall. Will er nicht, der Thilo, und blieb auch unbeeindruckt, als Herles überflüssigerweise erwähnte, dass über ihn, Herles, auch schon viel Falsches geschrieben worden sei.

Bloß gut, dass Herles sich nicht an Sachbüchern, sondern an Romanen versucht; an Romanen, die in einem etablierten Verlag wie S. Fischer erscheinen und die man sich nur sehr schwer beim Verbrecher Verlag vorstellen kann. Dieser seit 20 Jahren bestehende Berliner Verlag wurde in Leipzig mit dem Kurt-Wolff-Preis für unabhängige Verlage ausgezeichnet. Schön zu hören, wie der Schriftsteller Dietmar Dath in seiner Laudatio die enorme Wichtigkeit von Literatur betonte, die nicht sofort zu verstehen sei, die unverständlich bleibe, die dem zunehmenden Formatdruck entgegenwirke. Was an Sarrazin erinnert, aber natürlich nicht so gemeint war – wie Verbrecher-Verleger Jörg Sundermeier bestätigte, als er die Bundesrepublik Deutschland in seiner Danksagung erwähnte, die mit diesem Preis ja Sozialismus und Anarchie auszeichnen würde.

Trotz vieler E-Book-Veranstaltungen ist Leipzig analoges Hohesgebiet

Einen starken, unübersehbaren Auftritt hatte die Schweiz als Schwerpunktland dieser Messe – nicht nur bei den zahlreichen Lesungen und Auftritten von Schweizer Schriftstellern und Schriftstellerinnen. In der Stadt waren die roten Tüten mit dem weißen Kreuz unübersehbar, ebenso die vielen roten Lesebänke. Auf dem Weg zur Messe mit der Straßenbahnlinie 16 konnte man sich an Schweizer Landschaftsplakaten an allen Stationen erfreuen; und in den Bahnen selbst kamen nach den üblichen Stationsdurchsagen jeweils kleine Spoken-Word-Gimmicks auf Schwyzerdütsch – nach mehrmaligen Fahrten verlor sich allerdings der Überraschungseffekt und der Witz dieser kleinen Einlagen.

Auch wenn die Schweiz das Wörtchen „Gastland“ nicht gern hört – man gehört schließlich selbst zur deutschsprachigen Literatur und Literaturszene – erinnerte der Auftritt doch sehr an manchen Frankfurter Gastland-Auftritt. Leipzig scheint sich zumindest in dieser Hinsicht der großen Schwester in Frankfurt anzunähern. Ansonsten gab es zwar viele Veranstaltungen, die sich um das E-Book drehten, doch blieb die Digitalisierung der Branche im Großen und Ganzen außen vor. Mehr noch als die Frankfurter ist die Leipziger Buchmesse analoges Hoheitsgebiet.

Und da hatte auch Sibylle Lewitscharoff ihren Auftritt: An einem von der Messe mitausgerichteten, unter dem Label „ausgezeichnet-literaturpreis.de“ firmierenden Messestand zeigte ein riesengroßes Poster die Autorin. „Georg-Büchner-Preisträgerin 2013“ stand groß drauf, und unten, viel kleiner: „Schutzgebühr 3,50 €“. Wer sich dieses Poster wohl gekauft hat?

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