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Berliner Immobilienfachwirtin und ihr Sohn, fotografiert von Lars Nickel.

© Lars Nickel

Bildband "Beletage - Ansichten eines Fensterputzers": Der Lappen muss hochgehen

Lars Nickel ist Fotograf, aber auch Fensterputzer. Seine Einblicke in Berliner Wohnungen sind nun in einem Bildband versammelt. Ein Arbeitstreffen.

Doll, in was für einem Sonntagsstaat manche Berliner Bürger ihren Fensterputzer empfangen! Die Einschätzung der Etagenwohnungsmetropole als wenig elegante Stadt gehört angesichts dieser Menschen, dieser Räume dringend revidiert. Das ist zumindest der erste Eindruck beim Anschauen von Lars Nickels Bildband „Beletage – Ansichten eines Fensterputzers“. Oder ist die Tatsache, dass der Fotograf sich auch als Fensterputzer ausgibt, vielleicht nur das Projekt eines Künstlers, der auf Zeit einer „gewöhnlichen“ Arbeit nachgeht, um dann hinterher ein Hochglanzbuch daraus zu machen? Im Vorwort erzählt der Fotograf immerhin davon, dass er seit fünf Jahren ein Gewerbe als Gebäudereiniger betreibt. Seine Website wiederum sieht nach der eines Fotografen und nicht nach der eines Putzmannes aus.

Anruf bei Lars Nickel. Nicht lange und dann ist klar: So gewiss, wie dieser Mann berlinert, so gewiss ist er als Fensterputzer echt. Und ebenso als Fotograf, der diverse Porträtserien von ehemaligen russischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern bis zu den Feierabend-Cowboys von „Old Texas Town Berlin“ angefertigt und ausgestellt hat.

Als Fensterputzer hat er seit seiner Gewerbeanmeldung 2009 rund 300 Wohnungen betreten. Und weil sich der 45-jährigee gebürtige Ost-Berliner nicht nur für Fenster, sondern auch für Menschen interessiert, hat er die Kunden auch gleich gefragt, ob er sie porträtieren darf. Viele machten mit, 80 davon sind jetzt im Buch zu sehen: in ihren Stuben oder Küchen stehend, mit scheuem oder stolzem Blick. Meist Frauen – offensichtlich diejenigen, die den Fensterputzer bestellen –, wahlweise allein oder zusammen mit Kind, Mann oder Katze. Ärztinnen, Apothekerinnen, Musikerinnen, Modedesigner, Therapeuten, Lehrer, Leute mit gediegenen Altbauwohnungen halt, mit vielen hohen Doppelglasfenstern.

Muss sich ja lohnen für den Fensterputzer. In Friedenau oder Charlottenburg wie in Prenzlauer Berg, wo Nickel geboren und aufgewachsen ist. Er putzt bevorzugt im gutbürgerlichen Revier. „Arme Leute lassen nicht putzen.“ Ob er einen mitnehmen würde zu einem Kunden? Nickels Antwort ist wie Fensterglas: „Klar“.

Novembermorgen in einem Gründerzeithaus in Wilmersdorf. Der Sisal auf den Treppenstufen leuchtet satt rot. Zwei Leitern und ein Eimer mit Putzzeug stehen vor einer geschlossenen Wohnungstür. Wo bleibt die denn nur? Nickel schaut auf die Uhr. Auf halb neun war der Fensterputzer bestellt. Jetzt ist es Viertel vor, von der Kundin keine Spur. Nickel telefoniert. Keiner geht ran. Nickel wundert sich. Das passiere so gut wie nie. Vorführeffekt.

Die Kundin bringt Cappuccino und lobt den Fensterputzer

Wieso er mit dem Putzen angefangen hat? „Na, um die Kinder zu ernähren“, sagt Nickel. Das ist ja mit der künstlerischen Fotografie so einfach nicht. Der Beruf hat Tradition bei Nickels. Sein Vater und zwei seiner Onkel waren Gebäudereiniger. „In der DDR ein Traumjob.“ Als Kind war ihm Vaters Job peinlich. Inzwischen weiß er: „Die Arbeit ist schön.“ Alle Menschen freuen sich über den wiedergewonnenen Durchblick. Die Kunden bringen Kaffee, halten eine Schwatz, werden manchmal sogar Freunde. Apropos Kunden. Wo bleibt die denn nur? Es ist neun. Nickel schüttelt den Kopf. Da, endlich, Getrappel im Treppenhaus. Sie ist es, das Gesicht ehrlich erstaunt. Wie, halb neun? Ich denke, neun war ausgemacht! Jetzt muss Nickel sich sputen. Eine Wohnung wie aus dem Bildband, Stuck, Flügeltüren, Parkett, Geschmack. Im Esszimmer geht es los. Nickel lehnt die Fensterputzerleiter an.

Nächstes Jahr im Mai werde die „Beletage“-Fotoserie in New York im Deutschen Haus ausgestellt, erzählt er. „In Manhattan wird dieses weiträumige Wohnen als exotisch empfunden.“ Nickel gibt einige Tropfen Pril ins Wasser. Über seiner Schulter hängen ein Lederlappen und ein Fensterleinen. Am Boden liegen Handtücher. In der Hand hält er Abstreifer und Einwascher, einen feuchten zotteligen Schwamm. „Maus nennt den mein Vater.“ Und dann hoch auf die Leiter mit Kopf.

Die Kundin bringt Cappuccino und lobt den Fensterputzer – seine Vertrauenswürdigkeit, sein Kommunikationstalent, seinen ästhetischen Blick. Im Esszimmer steht ein Regiestuhl, der Mann ist beim Film. Warum sie nicht im Bildband vorkommt? „Ich sehe mich nicht gern auf Fotos.“

Es sind die herrschaftlichen Räume, die die Bewohner zu Herrschaften machen

Nickel wechselt ins Kinderzimmer. Ein geräumiges Mädchenparadies. Er ist kein Schöner-Wohnen-Fotograf, er hat keine Wohnungen ausgewählt, sondern ausnahmslos alle Kunden gefragt und ist dann mit seiner alten Rollfilm-Kamera angerückt. Um Menschen zu fotografieren, nicht Möbel, na ja, die auch, aber nur als Rahmen oder Hintergrund.

Bei genauem Hinschauen sind viele davon doch gar nicht so fein gemacht. Es sind die herrschaftlichen Räume, die die Bewohner zu Herrschaften machen. Hinten im Buch stellen kurze Texte die Übersetzerin, die Hebamme, den Anwalt oder die Maklerin vor.

Lars Nickel bei der Arbeit.
Lars Nickel bei der Arbeit.

© Alexander Seibert

Für ihn sei die Serie ein Zeitdokument, das erst in 20 Jahren richtig wirke, sagt Nickel. „Dann können das die Leute anschauen und sagen: Ach, so war das 2014 in Berlin!“ Zumindest im gutbürgerlichen Teil davon. Er putzt die Balkontür im Berliner Zimmer. Die Maus, die beim Abstreifen im Gürtelhalter steckt, leckt. Gegen die feuchte Hose zieht er im tiefen Winter einen Nierengurt an. Zweimal im Jahr müsse Fensterputzen schon sein, findet er. Jetzt im Advent ist Hochsaison.

Fotografische Serien über Menschen und ihre Wohnungen gibt es viele. Herlinde Koelbls „Das deutsche Wohnzimmer“ oder Harf Zimmermanns „Bürger in der Hufelandstraße“ haben Lars Nickel inspiriert. Internetplattformen wie „Freunde von Freunden“, die sich auf Interieurs spezialisiert haben, nennt er dagegen „Magazin-Fotografie“.

Bleiben noch zwei Fragen: Was berechnet Nickel pro Fenster? „15 Euro bei regelmäßiger Reinigung.“  Und warum geben Menschen ihr Zuhause in einem Fotobuch preis? „Keine Ahnung, fragen Sie sie selbst“, sagt er. Also Anruf bei einer Dame und einem Herrn aus Lars Nickels Fotobuch. Erkenntnis: Sie haben nicht aus Stolz auf die heimischen vier Wände vor der Kamera posiert, nicht um öffentlich ihren Wohlstand zu repräsentierten, nicht um Teil eines witzigen Projekts zu werden. Mitgemacht haben sie nur aus einem Grund: für ihren Fensterputzer.

Lars Nickel: Beletage – Ansichten eines Fensterputzers, Edition Braus Berlin, 96 S., 80 Abb., 29,95 €

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